Das „Wiener Café Stefanie“
Sehen und gesehen werden – ein Treffpunkt der Kunstszene Münchens um 1900
Um 1900 galt das Café Stefanie in der Maxvorstadt als beliebter Treffpunkt der Bohemiens, besonders der Literat:innen und Kunstschaffenden Münchens.
„Irgendwo im Haus und im Himmel mußte ein Elektrizitätswerk sein. Die Gäste, angeschlossen an den Starkstrom, zuckten unter elektrischen Schlägen gestikulierend nach links und nach rechts und vor und von den Polsterbänken hoch, fielen ermattet zurück und schnellten mitten im Satz wieder hoch, die Augen aufgerissen im Kampf der Meinung über Kunst.“ (Frank 1963, S. 11).
Leonhard Frank beschrieb mit diesen Worten das pulsierende Innere des „Wiener Café Stefanie“. Das legendäre Kaffeehaus wurde 1895 in dem Eckhaus an der Amalienstraße / Theresienstraße eröffnet und galt als beliebter Treffpunkt der Literat:innen, Kunstschaffenden und Studierenden. Als eines der wenigen Cafés Münchens durfte es sogar bis 3 Uhr nachts geöffnet haben. Auch wenn das Gebäude bei einem Fliegerangriff am 6./7. September 1943 gänzlich zerstört wurde, bleiben die Erzählungen, Zeichnungen und Karikaturen als bleibende Erinnerungen des Cafés im Gedächtnis der Stadt verankert. Das Mobiliar glich einem von vielen Cafés im Wiener-Kaffeehaus-Stil – Spiegelwand und Holzvertäfelungen, runde Marmortische, geschwungene Thonet-Stühle und ein Billardtisch –, doch besonders die (Stamm)Gäste galten als spezifisches Charakteristikum des Café Stefanie und trugen zu seiner Beliebtheit bei. Hier fühlte sich vor allem die sogenannte Schwabinger Bohème heimisch, Personen mit einer bestimmten freigeistigen Mentalität, einem unkonventionellen Lebensstil und einer exzessiven Lebensweise. Man frequentierte regelmäßig die zahlreichen Kneipen, Kleinkunstbühnen und Cafés – allen voran das Café Stefanie – in der Maxvorstadt. Viele Künstler:innen nutzten das „Café Größenwahn“, wie das Kaffeehaus im Volksmund genannt wurde, als Wohn- und Arbeitszimmer. Es war Knotenpunkt einer exzeptionellen Infrastruktur des künstlerischen Lebens: die Akademie, die Ateliers und die Museen waren ebenso nah wie Verlage, Fotograf:innen, Kunstvereine, Kunsthandlungen oder satirische Zeitschriften wie „Simplicissimus“ oder „Jugend“.
Einige Gäste im „Café Größenwahn“ waren beispielsweise die Zeichner und Karikaturisten Henry Bing, Hanns Bolz und Ernst Stern sowie die Maler:innen Lovis Corinth, Franz Marc, Paul Klee, Alfred Kubin, Marianne von Werefkin, die Schriftsteller:innen Leonhard Frank, Else Lasker-Schüler, Klabund, Heinrich Mann, Erich Mühsam, die Diseuse Marya Delvard, und die Personifikation des Bohèmelebens schlechthin – Franziska Gräfin zu Reventlow (1871–1918). Viele der Gäste kamen bei einer Melange und einem Glas Wasser im Café zum ersten Mal miteinander in Kontakt, ganze Gruppierungen und (Künstler)kreise entstanden hier. Beispielsweise traf sich die Kabarettgruppe der „Elf Scharfrichter“ im „Wiener Café Stefanie“ und auch die Mitglieder des Blauen Reiters verweilten dort.
Man hat im „Café Größenwahn“ leidenschaftlich philosophiert und debattiert, über Kunst und Literatur diskutiert sowie Schach gespielt und gezeichnet und zugleich bleibende Erinnerungen an das „Wiener Café Stefanie“ geschaffen.