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Der Alte Südliche Friedhof

„[G]roßartiges Monument der Sterblichkeit der Münchner Einwohner“ (Denk, Ziesemer 2013, 22)

Inmitten des heutigen Glockenbachviertels lädt der Alte Südliche Friedhof ein, in seiner dem Stadttrubel entrückten Grünlandschaft zu spazieren, zum schaurig-schönen Betrachten und Verweilen. Seine Popularität stieg durch die ab dem Anfang des 18. Jahrhunderts zunehmend auf den Markt gekommenen Reiseführer, die ihn für seinen gefälligen gartenähnlichen Charakter, die eindrucksvolle Architektur wie auch aufgrund der Bedeutsamkeit der dort bestatteten Persönlichkeiten als Sehenswürdigkeit hervorhoben. So formulierte beispielsweise Max J. Hufnagel, der Friedhof biete einen „Querschnitt durch das kulturelle und geistige und wirtschaftliche Leben“ der Großstadt, wodurch sich in ihm eine „wahrhaft große Zeit [spiegle]“ (Hufnagel 1970, S. 16).

Die Entstehung des Friedhofs im 16. Jahrhundert war eng mit Reformprozessen im Bestattungswesen und dem rapiden Bevölkerungswachstum der aufblühenden Haupt- und Residenzstadt verbunden. Hinzu kamen die vielen Toten, die der Dreißigjährige Krieg und die Pest gefordert hatten. Diese Entwicklungen führten dazu, dass die innerstädtischen Kirchhöfe nicht mehr ausreichten. So wurde der Südliche Friedhof 1563 als Behelfsfriedhof vor dem Sendlinger Tor gegründet. Allerdings wurde seine Entfernung zur Stadt von der Bevölkerung als zu groß empfunden. Deshalb sowie aufgrund der Gestaltung der Friedhofsanlage, die bis dahin nur nach zweckmäßigen und nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten erfolgte, war dieser lange, auch in seuchenfreien Zeiten, nicht besonders beliebt. Daher wurden dort zunächst vornehmlich Personen bestattet, die in der Stadt kein Erbgrab erwerben konnten, so etwa Heimatlose oder Arme. Außerdem wurde erst Jahre nach der Weihe (1674–1677) eine Friedhofskirche, die heutige St. Stephanskirche nach Plänen von Georg Zwerger, am nördlichen Ende des Friedhofs erbaut.

Nach der Kommunalisierung des Friedhofswesens, welche bedingte, dass 1788 ein innerstädtisches Bestattungsverbot verabschiedet wurde, wurde der Südliche Friedhof zum alleinigen Begräbnisplatz des gesamten Stadtgebiets erklärt. Dies sollte er dann bis zur Eröffnung des Nördlichen Friedhofs 1868 in der Maxvorstadt bleiben.

Immer wieder kam es zu Erweiterungen der Anlage im Süden der Stadt. Alle Planungen, die über den alltäglichen Bestattungsbetrieb hinausgingen, sind auf königliche Initiativen zurückzuführen. Unter anderem entstand so nach Plänen Friedrich von Gärtners 1844–1850 unter Ludwig I. der Campo Santo, ein italienischer Friedhofstypus mit einer von Architektur vollständig gerahmten Anlage in Kombination mit Säulenhallen und einem nach innen geöffneten klassizistischen Bogengang. Dieser wurde nach Inspiration von Bolognas Friedhof La Certosa errichtet und sollte das für Friedhöfe in Deutschland des 19. Jahrhunderts weitgehend singuläre gestalterische Projekt werden, das dem Alten Südlichen Friedhof deutschlandweit besondere Aufmerksamkeit einbrachte. Es ging dabei weniger um eine allgemein mustergültige Lösung, sondern um eine gestalterische Aufwertung des Münchner Bestattungsortes als königliches Bauprojekt. Wie Glyptothek, Pinakothek oder Ludwigstraße sollte der Campo Santo durch seine Architektur Zeugnis von der herausragenden Stellung der „Kunststadt“ München ablegen und damit nicht zuletzt dem Nachruhm des Königs Ludwig I. dienen.

Die Umbauarbeiten unter Berücksichtigung ästhetisch-gestalterischer Kriterien beschrieb damals Andreas Träger, mit skeptischem Unterton, als „[…] mit ironischer Schärfe angestellte Bemühungen der Zeit, Tod, Beisetzung und Friedhof von ihren ‚schauerlichen Assoziationen‘ zu befreien“. Er schließt mit der Feststellung, dass innerhalb der Neuerungen des Friedhofs ein „traurige[s], abscheuliche[s] Memento mori in einen niedlichen, allerliebsten französischen Lust- und Blumen-Garten mit Arkaden […] umgestaltet“ (Träger 1818, S. 7) worden sei.

So wurde der früher missliebige „Fertere“ [äußere] (Hufnagel 1970, S. 20) Gottesacker im Zuge der ambitionierten Stadtverschönerungspolitik Ludwigs I. zu einem „Vorzeigeobjekt“, welches auch heute noch, als seit 1944 aufgelassener Friedhof, von Anwohnern wie Besuchern gewürdigt wird und als memoriale Oase in Münchens Südwesten fortwährend ein Ort der Toten und der Lebenden ist.

Bilder

Der Alte Südliche Friedhof mit Blick in Richtung Süden, 2010
Der Alte Südliche Friedhof mit Blick in Richtung Süden, 2010 Entlang der Wege und Mauern befinden sich heute bemooste und verwitterte Monumente und Gräber, die an Verstorbene erinnern: Die Prominenz der Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftskreise des 19. Jahrhunderts formten die Silhouette der aufstrebenden Großstadt München. Der Münchner erkennt so manchen der Namen der Bestatteten oder der Künstler, die deren Denkmäler schufen. Nach einigen wurden Straßen, bekannte Plätzen und sogar Viertel benannt, wie etwa der Stadtteil „Schwanthalerhöhe“, der seinen Namen von dem Bildhauer Ludwig von Schwanthaler hat. Quelle: Wikimedia Commons Erstellt von: Schlaier
Schematisierte Kartenansicht der etappenweise erweiterten Fläche des Alten Südlichen Friedhofs
Schematisierte Kartenansicht der etappenweise erweiterten Fläche des Alten Südlichen Friedhofs Die Fläche des Alten Südlichen Friedhofs wurde über die Jahrhunderte hinweg mehrmals erweitert. Im Jahre 1780 wurden der ehemalige Entlastungsfriedhof und der ehemalige Pestfriedhof, welche bislang separate Felder waren, zusammengeschlossen. Erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts präsentiert sich der Alte Südliche Friedhof in seiner symbolhaft symmetrischen Form eines Sarkophags. Diese Umgestaltung nahm Gustav Vorherr, Kreisbauinspektor und Baurat unter König Max I. Joseph, vor. Er wurde dabei von der französischen Revolutionsarchitektur beeinflusst: Dort wird die Veranschaulichung der Funktion eines Gebäudes durch das architektonische Erscheinungsbild als „Architecture parlante“ (wörtlich: „sprechende Architektur“) bezeichnet. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieses Feld schließlich um das quadratische Feld im Südwesten, den „Neuen Friedhof“, erweitert. Quelle: Franz Schiermeier, Der Alte Südliche Friedhof in München. Begräbnisstätte Erinnerungsort Denkmal, in: Standpunkte Dezember 2014, S. 13.
Übersichtsplan des Alten Südlichen Friedhofs von Hans Grässel, 1902
Übersichtsplan des Alten Südlichen Friedhofs von Hans Grässel, 1902 Sowohl der Alte Friedhof als auch der neue Teil sind in konsequenter Ordnung und Symmetrie entlang der Mittelachsen organisiert. Ein geregeltes Wegesystem durchzieht das gesamte Friedhofsgelände. Die Anlage der Gräber wurde streng festgelegt und ist den Plänen an den Eingängen zu entnehmen. Ein Grundrissplan mit Lagekennzeichnung inklusive Koordinatenangaben findet sich auch in Wikipedia. Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 70.
Ansicht des Grabmals Negrioli und Sendtner von Anselm Sickinger, um 2014
Ansicht des Grabmals Negrioli und Sendtner von Anselm Sickinger, um 2014 Der Friedhof war ab dem 19. Jahrhundert aufgrund der verschiedenen Interessen, der Funktionen als Begräbnis-, Gedenk- und Kunstort Gegenstand von Debatten zwischen den städtischen und staatlichen Verantwortlichen. Entlang der Hauptwege und Mauern fanden die großen Persönlichkeiten der Stadt anspruchsvolle Ehrengrabmäler, die Hofgesellschaft und Regierungsmitglieder des jungen Königreichs privilegierte, teils zu Kapellen erweiterte Grablegen und das Stadtbürgertum repräsentative Grabstätten. Künstler verliehen dem Friedhof seine ganz spezifische, monumentale Physiognomie. Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 151.
Familiengrabstätte Arthur Menzel (seit 1896, Entwurf nach Heinrich Waderé, gegossen von Cosmas Leyerer)
Familiengrabstätte Arthur Menzel (seit 1896, Entwurf nach Heinrich Waderé, gegossen von Cosmas Leyerer) Bei dem Grabmal der Familie Menzel handelt es sich um ein Frühwerk des neoklassizistischen Bildhauers Heinrich Waderé. Es verbindet christliche und antikisierende Elemente und ist gekennzeichnet von einer bemerkenswerten Feinheit der Gestaltung. Es wurde anlässlich des verfrühten Todes der Gattin Arthur Menzels, Emma Menzel, erworben. Die Ikonographie des Grabmals, das bereits ein Jahr später gesetzt wurde, thematisiert dies: Die Bronzegruppe zeigt zwei Frauen, welche die Allegorien der Liebe und Hoffnung verkörpern. In enger Umarmung an ein schlichtes Kreuz gelehnt, streut die schmerzgebrochene Liebe eine letzte Rose, während die Hoffnung, einer frühen Interpretation des Grabmals zufolge, aufrecht und standhaft die Schwester stützend im Arm, einen reichen Strauß an ewig blühenden Rosen an ihre Brust drückt. Die inhaltliche Aussage wird durch die Inschrift in der Plinthe noch einmal betont: DIE LIEBE IST STARK WIE DER TOD. Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 402.
Campo Santo, Blick auf die Bogenhalle mit dem Grabmal Wilhelm von Kobell in der Mittelachse, um 2014
Campo Santo, Blick auf die Bogenhalle mit dem Grabmal Wilhelm von Kobell in der Mittelachse, um 2014 Der Campo Santo wurde von 1844 bis 1850 erbaut, wobei die Bauleitung 1845 vom überlasteten Architekten Friedrich von Gärtner an seinen Schüler, den Architekten Karl Klumpp, überging. Mit seinen monumentalen Arkaden wurde der neue Friedhofsabbschnitt Teil der königlichen Prestigeprojekte. Gärtner verstarb noch vor der Fertigstellung im April 1847 und wurde anlässlich der Weihe des Campo Santo zusammen mit Ludwig von Schwanthaler feierlich beigesetzt. Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 22.
Gustav Wenng: Übersichtsplan aller unter König Ludwig I. in München entstandenen Bauten, 1850
Gustav Wenng: Übersichtsplan aller unter König Ludwig I. in München entstandenen Bauten, 1850 Der Gestaltungswille König Ludwigs I., der München zu einer Hauptstadt europäischen Formats machen wollte, betraf auch den heutigen Alten Südlichen Friedhof. In diesem Zusammenhang etablierte sich dessen Stellenwert für die Stadt als „Vorzeigeobjekt“ (Denk, Ziesemer 2013, S. 22). Der Erste Bürgermeister Dr. Jakob von Bauer, der die anspruchsvolle Haltung des Königs, wenn auch nicht in Kostenfragen, so doch in Fragen der Gestaltung teilte, schieb: „Der uns vorschwebenden Meinung nach soll ein großartiges Monument der Sterblichkeit der Münchner Einwohner angelegt werden; wir sind nicht entgegen, etwas Großartiges der Königs-Stadt und unserer Zeit Würdiges zu schaffen, wenn es die Umstände gebiethen und die Mittel gestatten.“ (zit. nach: Denk, Ziesemer 2013, S. 22). Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 23.
Eduard Schidermayr: Idealansicht des neuen Campo Santo, 1848
Eduard Schidermayr: Idealansicht des neuen Campo Santo, 1848 Die Idealansicht von Eduard Schidermayr zeigt, dass der großflächige Friedhof bestens für eine neue sepulkrale „Monumentomanie“ (Denk, Ziesemer 2013, S. 131) geeignet war. Die Möglichkeiten der Grabgestaltung waren hierarchisch geregelt und reichten von einfachen, kleinformatigen Reihengrabmälern in zweitrangiger Platzierung bis zu aufwendigen Wandstelen unter den Arkaden. Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 131.
Blick auf die kriegszerstörten Alten und Neuen Arkaden, 1949
Blick auf die kriegszerstörten Alten und Neuen Arkaden, 1949 München war als „Hauptstadt der Bewegung“ und Sitz der NSDAP im Zweiten Weltkrieg ein Hauptziel der alliierten Luftangriffe. Durch die Nähe zum Hauptbahnhof wie zum Elektrizitätswerk an der Thalkirchner Straße wurde der Friedhof bei mehreren Bombenangriffen getroffen. In Folge dessen wurden weite Teile der architektonischen Anlage und viele Grabmäler zerstört. 1949 kam es zu einer umfassenden Trümmerbeseitigungsaktion und zu einem systematischen Wiederaufbau der Anlage unter der Leitung des Münchner Architekten Hans Döllgast, der diese Rolle auch bei vielen anderen wichtigen öffentlichen Bauten, etwa der Alten Pinakothek und der Glyptothek, übernommen hatte. Quelle: Claudia Denk und John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin 2014, S. 24.

Ort

Thalkirchner Straße 17, 80337 München | öffentlich zugänglich

Metadaten

Nathalie Haas, “Der Alte Südliche Friedhof,” MunichArtToGo, accessed 28. April 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/145.