Die Residenz
Der Zerstörung zuvorkommen – die fotografische „Notaufnahmeaktion“ 1944
Über 400 Jahre lang, von 1508 bis 1918, war die Münchner Residenz in der Altstadt Sitz der Wittelsbacher Herzöge, Kurfürsten und Könige von Bayern. Von einer spätmittelalterlichen Wasserburg entwickelte sie sich zu der prächtigen Schlossanlage, die noch heute mit ihrer prominenten Lage und vielfältigen Geschichte das Stadtbild Münchens prägt. Unter anderem dank des Engagements der Münchner Fotoschule sind die Zerstörungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges nicht mehr sichtbar.
Heute gilt die Residenz als eines der weltweit größten Raummuseen mit zahlreichen Kunstwerken und Schätzen von der Renaissance bis zum Klassizismus. Doch wie viele Kultur- und Baudenkmäler hatte auch dieses mit den Zerstörungen infolge des Zweiten Weltkriegs zu kämpfen. Bei Luftangriffen im Jahr 1944 kam es zu einem Großbrand, der schwere Schäden verursachte, die einer umfassenden und jahrelangen Renovierung bedurften. Von unschätzbarem Wert dafür waren zuvor angefertigte dokumentarische Fotografien, die vom Direktor der Münchner Fotoschule (ehemals Bayerische Staatslehranstalt für Lichtbildwesen) Dr. Arthur Schlegel und seinen Schüler:innen angefertigt worden waren. Schon vor den Bombardierungen der Residenz interessierte sich das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege für Schlegels zahlreiche Architekturaufnahmen, woraus eine Kooperation, die „Notaufnahme deutscher Altstädte“, entstand.
Im Februar und März 1944 dokumentierte Schlegel zusammen mit Schüler:innen die Innenräume der Residenz in äußerst detaillierter und quantitativ wertvoller Manier. Damit wandte Schlegel Methoden an, die er während seiner eigenen Ausbildung an der Marburger Fotoschule verinnerlicht hatte. Diese Herangehensweise des „Durchphotographierens“ war ebenso eine Besonderheit der Marburger Schule, wie die kunsthistorische Ausbildung (Schlegel 1928/29, S. 331–336, hier: S. 332). Beides etablierte Arthur Schlegel auch in seiner Position als Leiter der Münchner Fotoschule. Er war sowohl Kunsthistoriker als auch Fotograf. Der Marburger Ausbildung entsprechend verstand er die Kamera und das Fotografieren als kunsthistorische Praxis. Denn nur mit einem kunsthistorisch geschulten Auge seien Bau- und Kunstdenkmäler für die Forschung richtig zu dokumentieren. Dabei kam es nicht nur auf die Qualität der Bilder an, sondern auch eine besondere Quantität zeichne die Arbeitsweise des Kunsthistorikers aus, bei der „400-500 Fotografien pro Bauwerk keine Seltenheit“ waren (Schlegel 1928/29, S. 331–336, hier: S. 332). Aus diesem Grund finden sich unter den Fotografien nicht nur einfache Raumansichten, sondern auch einzelne Bauschmuckelemente: Deckenstuckdetails, Kaminverzierungen oder Schränke, kunstvolle Türen und einzelne Spiegel wurden aus konservatorischen und kunsthistorischen Gründen abgelichtet. Laut dem Bauleiter für die Wiederinstandsetzung, Dr. Neumann, „entstand ein Konvolut von Hunderten von Fotografien, die für den späteren Wiederaufbau eine einmalige und unersetzliche Quelle darstellten, da die Innenarchitektur erstmals vollständig und flächendeckend erfasst worden war.“ (Pohlmann 2000, S. 44).