Das Grabmal für Carl von Faber
Ein Werk des Jugendstil-Künstlers Hermann Obrist auf dem Münchner Nordfriedhof
„Ein neues Grabmal von Hermann Obrist ist auf dem Schwabinger Friedhof aufgestellt worden. […] Das imposante Monument ist eine Arbeit von hohen künstlerischen Potenzen.“
Am 31. März 1908 berichtet die Münchner Allgemeine Zeitung in der Rubrik „Bildende Kunst“ über ein Grabmal, das sich Carl von Faber (1849–1915), der ehemalige Mitinhaber der Bleistiftfabrik Johann Faber in Nürnberg, schon zu Lebzeiten auf dem Schwabinger Friedhof errichten ließ. Entworfen wurde es von Hermann Obrist (1862–1927), dessen Werk im Münchner Stadtbild heute nur noch in wenigen Beispielen sichtbar ist.
Das Grabmal für Carl von Faber befindet sich im nördlichen Teil des Nordfriedhofs, in der Sektion Mauer links 249–252, und fällt schon allein aufgrund seiner Größe auf. Auf einem rechteckigen, zweistufigen Fundament erhebt sich eine breite, aufgrund ihrer Symmetrie nahezu kristallin anmutende Felsarchitektur. Sie umschließt eine blattförmige, spitz zulaufende Nische, deren Umrandung mit ebenfalls symmetrisch angeordneten, stilisierten pflanzlichen Motiven verziert ist. In ihrem Inneren sind die Namen der beiden Bestatteten, Carl und Luise von Faber, das Familienwappen samt Leitspruch angebracht. Bekrönt wird das Monument von einer Gruppe aus drei Figuren, die aus dem Felsen herauszuwachsen scheinen. Es handelt sich um zwei Frauenfiguren, die mit auf den Rücken geführten Händen, geneigtem Haupt und geschlossenen Augen den vor dem Grab stehenden Betrachtenden zugewandt sind. Über ihnen erhebt sich eine männliche Figur mit vor der Brust gekreuzten Armen und gerade erhobenem Kopf aus dem Stein. Die Deutung dieser Gruppe ist leider nicht sicher überliefert. Nach dem Bericht in der Münchner Allgemeinen Zeitung sollen die weiblichen Figuren die Sehnsucht nach dem Irdischen verkörpern, während die männliche Figur den Glauben an die Sterne darstelle. Aber auch gefesselte und befreite Seelen wurden hier erkannt.
Hermann Obrist, geboren 1862 in Kilchberg am Zürichsee, gilt als einer der Begründer der deutschen Jugendstilbewegung. 1885 begann er in Heidelberg ein Studium der Naturwissenschaften und Medizin, entschied sich jedoch kurze Zeit später für eine künstlerische Laufbahn. Nach einer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe, dem Studium der Bildhauerei in Paris und mehreren Jahren in Florenz lebte er ab 1895 in München. Dort betrieb er ein Atelier für Kunststickerei, in dem eines seiner berühmtesten Werke entstand: der sogenannte „Peitschenhieb“, ein Wandbehang mit der stilisierten Darstellung zweier Alpenveilchen. Neben Textilentwürfen gestaltete er auch Keramiken und Möbel, Brunnen, Grab- und Denkmäler.
Die abstrahierenden Formen, die seine Entwürfe und plastischen Arbeiten prägten und charakteristisch für den Jugendstil wurden, lassen sich auf seine Faszination für die Natur und seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse zurückführen. Bewusst verzichtete er bei Grabmälern auf die zu dieser Zeit und in diesem Genre sonst üblichen traditionellen Allegorien und Symbole. Stattdessen zeichnen sich seine Werke durch die Verwendung von organischen Formen und natürlichen Motiven aus, die er zu neuen, abstrakten Kompositionen kombinierte, deren genaue Bedeutung offenbleibt und Raum für individuelle Interpretation lässt.