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Die Kunst- und Antiquitätenhandlung Siegfried Lämmle

1933 würdigten die Münchner Neueste Nachrichten den jüdischen Kunsthändler Siegfried Lämmle zu seinem 70. Geburtstag als „Mitglied zahlreicher kultureller Vereine und Ehrenmitglied des Münchner Altertums-Vereins, in dem sein Urteil an den Fachabenden sehr geschätzt ist. Mit seinem Geschmack verband er stets eine glückliche Hand und konnte auch einer Anzahl von Museen wertvolle Erwerbungen vermitteln.“ Im selben Jahr markierte die nationalsozialistische Machtübernahme den Beginn der systematischen Entrechtung der jüdischen Bevölkerung – ein Prozess, der auch die Familie Lämmle traf und 1938 in ihrer Emigration in die USA mündete.

Der in Laupheim geborene Siegfried Lämmle (1863–1953) eröffnete 1894 in München seine erste Kunsthandlung in der Barerstraße 8. Im Laufe der Jahre etablierte er sich in der bayerischen Hauptstadt als angesehener Kunsthändler und Sammler, der sich auf Antiquitäten, Grafik und mittelalterliche Skulptur spezialisierte.

Die Kunsthandlung wechselte mehrfach den Standort. Sie wurde 1897 zunächst in die Karlstraße 8 verlegt und dort ein Jahr später offiziell beim Landgericht München angemeldet. 1903 folgte der Umzug an den Maximiliansplatz, ab 1906 war sie in direkter Nachbarschaft zur renommierten Galerie Heinemann am Lenbachplatz 6 ansässig. Die Etablierung Lämmles als eine der angesehensten Adressen des Münchner Kunsthandels zeigte sich aber vor allem in der Verlegung der Firma in die Räumlichkeiten des repräsentativen Almeida-Palais in der Brienner Straße 51 (heute 14).

Das Almeida-Palais war um 1825 nach Plänen des deutsch-französischen Architekten Jean-Baptiste Métivier (1781–1857) als elegantes Wohnhaus errichtet worden. Métivier soll dieses Bauvorhaben selbst finanziert haben, in der Hoffnung, das Palais nach dessen Fertigstellung gewinnbringend verkaufen zu können. Es wurde schließlich von Prinz Karl V erworben, als Geschenk für seine Frau Baronin Sophie Bayrstorff. Das Ehepaar überließ seinen Besitz der gemeinsamen Tochter und ihrem Schwiegersohn, Gräfin und Graf d’Almeida.

Im Jahr 1921 wurde das Palais nach den Plänen des Architekten Otto Prollius (Lebensdaten unbekannt) umgestaltet: Vorder- und Rückgebäude wurden durch Seitenflügel verbunden, und das Gebäude sollte fortan Büro- und Geschäftszwecken dienen. Ursprünglich war geplant, die Fensterfronten zu Schaufenstern umzubauen, um der kurz darauf dort ansässigen Kunsthandlung Siegfried Lämmle mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Auf Intervention des Architekten Theodor Fischer (1862–1938) im Namen der Münchner Kunstkommission blieb das äußere Erscheinungsbild des klassizistischen Gebäudes jedoch unverändert.

Während des Nationalsozialismus wurde die Familie Lämmle als jüdisch verfolgt und Siegfried und dessen Sohn Walter, der 1928 in das väterliche Unternehmen eingestiegen war, im August 1935 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. Dies kam einem Berufsverbot gleich, sodass sie gezwungen waren, ihre Kunsthandlung zu liquidieren. Sowohl der Warenbestand als auch Objekte aus der Privatsammlung wurden in der Folge teils unter Zwang verkauft, teils beschlagnahmt. Im Juni 1937 wurde der Restbestand der Kunsthandlung in die Ottostraße 5 verlagert, Ende 1938 emigrierte die Familie Lämmle in die Vereinigten Staaten.

Im Mai 1939 wurde Siegfried, Betty und Walter Lämmle die deutsche Staatsbürgerschaft abgesprochen. Gleichzeitig fiel ihr in Deutschland verbliebenes Vermögen dem „Deutschen Reich“ zu. Im Rahmen der sogenannten „Sicherstellung von Kulturgut aus jüdischem Besitz“ beschlagnahmte die Gestapo das bei der Münchner Spedition A. Frank & Söhne eingelagerte Umzugsgut der Familie. Es wurde an das Bayerische Nationalmuseum überstellt und von dort aus teils an Museen, teils über den Kunsthandel weiterveräußert. Zu den Hauptprofiteuren dieser Enteignung gehörte der Kunsthändler Adolf Weinmüller, der im Auftrag der Gestapo auch Objekte aus dem Besitz der Familie Lämmle versteigerte. Der Erlös dieser Auktionen wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt, auf das die Familie keinen Zugriff hatte.

Nach ihrer Emigration gründeten Siegfried und Walter Lämmle 1940 in Los Angeles eine neue Kunsthandlung unter dem Namen Siegfried Laemmle, Inc. Antiques. An die Erfolge der Münchner Jahre konnte das Unternehmen jedoch nicht mehr anknüpfen. 1993 wurde die Firma endgültig geschlossen.

Bilder

Ansicht des Almeida-Palais mit der Kunsthandlung Siegfried Lämmle
Ansicht des Almeida-Palais mit der Kunsthandlung Siegfried Lämmle Die Kunsthandlung Siegfried Lämmle zog 1921 vom Lenbachplatz 6 in die Räumlichkeiten des Almeida-Palais in der Brienner Straße 51 (heute 14). Dort firmierte sie bis Sommer 1937. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Sammlungen, ZI-0991-01-00-028632
Auf- und Grundriss des Almeida-Palais nach Jean-Baptiste Métivier
Auf- und Grundriss des Almeida-Palais nach Jean-Baptiste Métivier Die nach den Plänen von Métivier angefertigte Lithografie des Auf- und Grundrisses zeigt die repräsentative Qualität des als Wohnhaus konzipierten Palais. Es handelt sich um einen dreigeschossigen Bau mit klassizistischer Fassade. Diese Formensprache wurde von Métivier gerne auf private Wohnbauten übertragen, um ein Gefühl des „königlichen Wohnens“ zu vermitteln. Die Wagendurchfahrt, das aufwendig gestaltete Treppenhaus, das Vestibül und der große Salon orientierten sich an den Erwartungen des Adels. Auch die Dekoration und die Innenausstattung einschließlich des Mobiliars wurden von Métivier entsprechend gestaltet. Quelle: Hermann Rau, Jean-Baptiste Métivier. Architekt, Königlich Bayerischer Hofbaudekorateur und Baurat (1781–1857). Thurn und Taxis-Studien 19, Kallmünz 1997, S. 63.
Ernst, Siegfried, Gertrud, Betty und Walter Lämmle (v. l. n. r.) bei einem Ausflug nach Herrsching, 1915
Ernst, Siegfried, Gertrud, Betty und Walter Lämmle (v. l. n. r.) bei einem Ausflug nach Herrsching, 1915 Siegfried Lämmle war zunächst als Wanderhändler bei der Weinhandlung und Branntweinbrennerei A. Weil & Sohn in Offenburg tätig. Im Jahr 1894 zog er nach München und eröffnete dort seine erste Kunsthandlung. 1899 heiratete er die in Seligenstadt geborene Betty Frank (1880–1949). Im September 1900 wurde ihr erster Sohn, Ernst (1900–1950), geboren. Ihm folgten 1902 Walter (1902–1996), der 1928 in die väterliche Kunsthandlung einstieg, sowie im Jahr 1904 die Tochter Gertrud (1904–1981). Quelle: Privatbesitz Nina McGehee
Siegfried Lämmle in seiner Kunsthandlung im Almeida-Palais, undatiert
Siegfried Lämmle in seiner Kunsthandlung im Almeida-Palais, undatiert In der NS-Zeit wurde Lämmle als jüdisch verfolgt und gezwungen, seine Kunsthandlung aufzulösen. Ab Juli 1937 bezog das Graphische Kabinett Günther Franke KG die Räumlichkeiten in der Brienner Straße. Ab Dezember 1949 ließ sich das Auktionshaus Adolf Weinmüller im neu renovierten Almeida-Palais nieder, wo es sich bis 1978 befand. Quelle: Privatbesitz Nina McGehee
Annotierter Katalog zur Auktion „Buchminiaturen und Handzeichnungen aus älterer und neuerer Zeit: zwei Münchener Sammlungen und andere Beiträge“, 9.–10. März 1939
Annotierter Katalog zur Auktion „Buchminiaturen und Handzeichnungen aus älterer und neuerer Zeit: zwei Münchener Sammlungen und andere Beiträge“, 9.–10. März 1939 Wie die Annotationen belegen, wurden viele Objekte aus dem Besitz von Siegfried Lämmle angeboten, die nach dessen Emigration in die USA von der Gestapo beschlagnahmt worden waren. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Sammlungen
Carl (links) und Siegfried (rechts) Lämmle, undatiert
Carl (links) und Siegfried (rechts) Lämmle, undatiert Siegfried Lämmles Bruder Carl (1867–1939) emigrierte bereits 1884 in die USA und gründete dort die Universal Pictures Cooperation. Insgesamt bürgte er für über 300 deutsche Jüdinnen und Juden, die während des Nationalsozialismus verfolgt und zur Flucht gezwungen worden waren. Ohne diese Hilfe wäre der Kunsthändlerfamilie Lämmle die Emigration in die USA womöglich nicht gelungen. Quelle: Privatbesitz Nina McGehee
Gregor Erharts „Maria Magdalena“, aufgenommen von Johannes Felbermeyer im Münchner Central Collecting Point, 1946
Gregor Erharts „Maria Magdalena“, aufgenommen von Johannes Felbermeyer im Münchner Central Collecting Point, 1946 Siegfried Lämmle verkaufte die Skulptur der Heiligen Maria Magdalena, besser bekannt als die „Belle Allemande“, im Jahr 1902 über den Antiquitätenhändler Godefroy Brauer (1857–1923) an den Louvre. Hermann Göring (1893–1946) erwarb sie 1944 im Rahmen einer Tauschaktion. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten die Alliierten die Sammlung Görings und brachten sie in den Münchner Central Collecting Point. Dort wurde die „Belle Allemande“ unter der Münchner Nummer 6666 inventarisiert, fotografiert und schließlich nach Paris zurückgegeben. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Sammlungen, ZI-2029-05-00-101011
Ansicht des Almeida-Palais mit dem Schriftzug der Aachener und Münchner Versicherungsgesellschaft
Ansicht des Almeida-Palais mit dem Schriftzug der Aachener und Münchner Versicherungsgesellschaft Ursprünglich als repräsentatives Wohnhaus konzipiert, wurde das Palais im Laufe der Jahrzehnte vielfältig genutzt, unter anderem als brasilianisches Konsulat oder Arztpraxis. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Palais wieder aufgebaut, jedoch im Grundriss verändert und durch moderne Anbauten und einen Lichthof erweitert. Heute befindet sich das Gebäude im Besitz der Aachener und Münchner Versicherungsgesellschaft und beherbergt Büro- und Geschäftsräume. Eine goldene Tafel erinnert an den Bauherrn Jean-Baptiste Métivier und die früheren Besitzer, die Grafen Almeida, während auf die Geschichte des Hauses im Nationalsozialismus sowie die Familie Lämmle nicht hingewiesen wird. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Sammlungen, ZI-0991-01-00-Th250214

Ort

Brienner Str. 14, 80333 München

Metadaten

Lena Schneider, “Die Kunst- und Antiquitätenhandlung Siegfried Lämmle,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 23. Oktober 2025, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/279.