Das Warenhaus Hermann Tietz am Bahnhofplatz
Ein hypermoderner Konsumtempel des frühen 20. Jahrhunderts

Der 1905 am Bahnhofplatz eröffnete Bau war seinerzeit eines der größten und modernsten Warenhäuser Europas, Hermann Tietz eines der fortschrittlichsten und erfolgreichsten Warenhausunternehmen. Unter den Nationalsozialisten wurde das jüdische Unternehmen bereits im Sommer 1933 als eines der ersten arisiert, die Unternehmensgeschichte über Jahrzehnte verdrängt.
Am 25. Februar 1905, zehn Tage nach dem Kaufhaus Oberpollinger in der nahegelegenen Neuhauser Straße, eröffnete das neu errichtete Warenhaus Hermann Tietz am Münchner Bahnhofplatz. Beide Bauten wurden vom Münchner Unternehmen Heilmann & Littmann realisiert, das zuvor unter anderem das Prinzregententheater und den Rohbau des Schauspielhauses in der Maximilianstraße verantwortet hatte. Die Inszenierung von Waren wie auf einer Bühne war ein Erfolgskonzept des jüdischen Warenhausgründers Hermann Tietz – die Wahl von Heilmann & Littmann als Bauunternehmen daher nur konsequent.
Hermann Tietz (1837–1907), ursprünglich aus Birnbaum in der Provinz Posen, gründete 1882 in Gera mit seinem adoptierten Neffen Oscar (1858–1923) die Firma Hermann Tietz zunächst als Textilwarengeschäft. Nach fast zwei Jahrzehnten in den USA führte Tietz revolutionäre Geschäftspraktiken im Deutschen Kaiserreich ein: feste Preise auf Pappschildchen, Abschaffung des Feilschens, Barzahlung – jedoch ohne Kaufzwang. Die Kundschaft konnte sich erstmals unverbindlich über das Angebot informieren, was in deutschen Geschäften bis dahin unüblich war.
Mit Unterstützung seines Onkels eröffnete Oscar 1889 am Karlsplatz/Stachus im „Imperialhaus“, Schützenstraße 1a, sein erstes Münchner Geschäft als „Kleinpreisladen“ nach Hermanns Konzept. Zugleich ließ sich die Familie an der Isar nieder. Der enorme Erfolg des neuartigen Kaufhauses führte rasch zur Expansion. Bis 1900 folgten Filialen in mehreren deutschen Städten, darunter ein sechsstöckiges Warenhaus in Berlin, wohin die Familie 1899 von München übersiedelte.
Nach nur zwölf Monaten Bauzeit eröffnete Ende Februar 1905 das Warenhaus Hermann Tietz am Münchner Bahnhofplatz. Der Neubau folgte im Inneren den innovativen Marketingideen von Tietz, während die architektonische Außengestaltung mit Giebeln, Gauben und Türmen auf Magistratsvorgabe einen „spezifisch Münchener Ton“ traf. Genehmigt wurden vier Verkaufsetagen, ein Dachgeschoss für Lager und Büros sowie ein Keller mit Heizkessel, Dampfmaschine und einer Dieselmotoranlage, die den Bau vom städtischen Stromnetz unabhängig machte. Eine Besonderheit war der ellipsenförmige Lichthof, der sich durch alle Etagen zog und von einer Glas-Eisenkonstruktion überspannt wurde. Hier wurden Preisaktionen sowie wechselnde Sonderwarenangebote prominent präsentiert.
Mit seinen außergewöhnlichen Verkaufs- und Werbestrategien wurde Hermann Tietz zum Pionier des Warenhausbetriebs in Deutschland. Zugleich war er aber auch als Arbeitgeber sozial engagiert: Er förderte die Aus- und Weiterbildung seines Personals, bot eine Pensionskasse und Hinterbliebenenversorgung an und führte als erstes Einzelhandelsunternehmen die Sonntagsruhe ein. 1903 gründete Oscar Tietz den Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser (VDWK) und initiierte 1919 die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE). Nach seinem Tod 1923 übernahmen die Söhne Georg und Martin sowie Hugo Zwillenberg (1885–1966), Ehemann von Tochter Regine Elise, die Geschäftsleitung.
Die Wirtschaftskrise ab 1929 traf auch Hermann Tietz folgenreich, und das, kurz nachdem das Unternehmen durch die Übernahme des Konkurrenten A. Jandorf &. Co. ohnehin finanziell stark belastet war. Die nationalsozialistische Boykottpolitik gegen die großen – überwiegend jüdischen – Warenhauskonzerne, spitzte die Situation zusätzlich dramatisch zu. Als das Unternehmen im Frühjahr 1933 einen weiteren Kredit benötigte, zwangen die Gläubigerbanken die jüdische Geschäftsleitung zum Rückzug. Im Sommer 1933 wurde der bisherige Angestellte Georg Karg (1888–1972) mit der Führung der neu gegründeten Hertie GmbH betraut. Die endgültige Verdrängung der Eigentümerfamilie Tietz zog sich noch einige Jahre hin, ebenso der Ausschluss sämtlicher jüdischer Mitarbeiter. Da die Banken das Firmenvermögen zu niedrig bewerteten, gelang Karg schrittweise bis 1940 die komplette Übernahme des Stammkapitals. Nach dem Ende des Nazi-Regimes und des Zweiten Weltkrieges kam es 1949 zu einem Vergleich zwischen ihm und den Tietz-Erben, später kaufte er die an die Familie rückübertragenen Anteile wieder auf und führte das Unternehmen allein weiter. Vielen galt er als „geschäftliches Genie“, woran sein Sohn Hans-Georg Karg, der 1972 die Unternehmensleitung übernahm, nicht anknüpfen konnte. Erst vor wenigen Jahren wurde die Firmengeschichte und die Rolle Georg Kargs während und nach der NS-Zeit aufgearbeitet.
Das Gebäude am Münchner Bahnhofplatz wurde kurz vor Kriegsende schwer beschädigt, bald aber konnte im Kellergeschoss der Verkauf schon wieder aufgenommen werden. Es folgten ein vereinfachter Wiederaufbau und 1971 ein langgestreckter Anbau entlang der Schützenstraße bis zum Stachus.
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