Eingeordnet unter Wohnbau

Die Borstei

Ein Dorf in der Stadt

Die denkmalgeschützte Wohnsiedlung „Borstei“ im Nordwesten Münchens zwischen Dachauer Straße und Landshuter Allee gelegen, bildet, nach außen hin durch die Randbebauung abgeschottet, eine Welt für sich, in der es sich sogar autark leben ließe.

Allen Behauptungen zum Trotz handelt es sich bei der „Borstei“ weder um eine Genossenschaft noch um eine Arbeitersiedlung, sondern um Privateigentum. Die Bewohner:innen entstammten bereits zur Erbauungszeit vor allem der bürgerlichen Mittelschicht.

1922 wurde dem Bauunternehmer Bernhard Borst (1883–1963) der Lagerplatz in der Thalkirchner Straße gekündigt. Er kaufte daraufhin 1923 das Areal neben dem damaligen Gaswerk an der Dachauer Straße und plante neben dreigeschossigen Wohnhäusern, Büros und Werkstätten, ein Sägewerk und eine Kiesgrube, modifizierte jedoch den Bebauungsplan immer wieder, vor allem nachdem die Kündigung für seinen Lagerplatz zurückgenommen wurde. Auf einer Fläche von knapp 70.000 m² entstanden in den nächsten fünf Jahren 77 Häuser mit 772 Wohnungen. Borst, der nach einer Maurerlehre an der Baugewerkschule studiert hatte und ab 1911 als selbstständiger Architekt auftrat, musste allerdings 1927 aufgrund eines neuen Gesetzes einen Diplomarchitekten hinzuziehen. Oswald Bieber (1876–1955) sind die unterschiedlichen Gestaltungen der Fassaden und anderer Details wie verschieden gestaltete Treppenhäuser, Eingangs- und Wohnungstüren zu verdanken.

Die nach außen hin wirkende Geschlossenheit der Borstei wird durch die Randbebauung erzeugt, die nicht die Unregelmäßigkeit der Straßenzüge im Inneren erwarten lässt. Hinzu kommen die zahlreichen großzügigen Gärten und Höfe, die nicht nur unregelmäßig angelegt sind, sondern auch durch den Kelleraushub Niveauunterschiede aufweisen. Die Gestaltung der Gärten, 1929/30 von Alwin Seifert (1890–1972) begonnen, zog sich bis in die 1950er Jahre hin. Sie nehmen zusammen mit den Straßen einen Großteil der Gesamtfläche ein, denn die Bebauung umfasst lediglich knapp 20.000 m².

Die für damalige Verhältnisse luxuriös ausgestatteten Wohnungen mit Badezimmer und fließendem Wasser sowie Eichenparkett sind verhältnismäßig groß und werden über ein zentrales Heizkraftwerk mit Wärme versorgt, ein Novum im damaligen Deutschland. In der Nähe der Heizungsanlage befindet sich die Wäscherei, die früher obligatorisch benutzt werden musste. Von den Geschäften in der sogenannten Ladenstraße, eigentlich Franz-Marc-Straße, garantieren etliche eine Grundversorgung, außerdem gibt es ein kleines Lokal und ein Café sowie einen Kindergarten und mehrere Arztpraxen.

Nach Vollendung der Siedlung, bei der Borst bestrebt war, die Vorteile von Mietwohnungen mit ihren Dienstleistungen mit dem Luxus gestalteter Gartenanlagen zu verbinden, beschäftigte er sich mit der Verschönerung dieser Gartenanlagen, indem er Künstler beauftragte Skulpturen zu schaffen. Andere wie eine Kopie des David von Donatello oder des Zentauren aus der Villa Hadriana (heute in den Kapitolinischen Museen in Rom) kaufte er im Antiquitätenhandel oder er ließ Münchner Bildhauer nach seinen Entwürfen arbeiten wie beim Neptunbrunnen oder dem Parisurteil.

Die inzwischen hohen Bäume, das Grün der Hecken und Büsche, die Blumenpracht und die plätschernden Brunnen lassen die Borstei nicht nur an heißen Sommertagen zu einem Refugium werden, das mit den vielen Grünflächen heutigen Wunschvorstellungen von modernem Städtebau entspricht.

Bilder

Luftbild der Borstei, 2018
Luftbild der Borstei, 2018 Das Luftbild zeigt deutlich das unregelmäßige Grundstück, das sich von der Dachauer Straße zur Landshuter Allee erstreckt und im Inneren ebenfalls unregelmäßig bebaut ist. Im Hintergrund der Olympiapark. Erstellt von: Martin Anz
Luftbild der Borstei, 1934
Luftbild der Borstei, 1934 Auf dem Oberwiesenfeld befand sich 1934 noch der Flughafen, die großen Gaskessel im Norden der Borstei wurden ab 1972 sukzessive abgebaut. Quelle: Stadtarchiv München, FS-PK-STB-12361a Erstellt von: Verlag Walter Bätge, München
Grundriss der Borstei mit eingezeichneten Bauphasen
Grundriss der Borstei mit eingezeichneten Bauphasen Die Bauphasen der zwischen 1924 und 1929 errichteten Borstei zeigen die wachsende Geschwindigkeit, in der die Häuser gebaut wurden. Quelle: Klaus Weschenfelder: Die Borstei in München. Ein konservatives Siedlungsmodell der Zwanziger Jahre, München 1980, Tafel 6, Abb. 1.
Die Franz-Marc-Straße in der Borstei
Die Franz-Marc-Straße in der Borstei Die sogenannte Ladenstraße bietet nicht nur Geschäfte für den täglichen Bedarf wie Lebensmittel, Metzger, Bäcker, Schreibwaren mit Post und einen Schuster, sondern auch eine Goldschmiede, eine Nähschule und einen Lederhosenladen. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
„Merkur“, der Gott des Handels im Garten der Franz-Marc-Straße
„Merkur“, der Gott des Handels im Garten der Franz-Marc-Straße Die auf einem hohen Sockel aus Ruhpoldinger Marmor stehende Bronzefigur des Merkur von Josef Wackerle (1880–1959) wurde 1931 von Borst aus dem zerstörten Glaspalast erworben. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Neptunbrunnen
Neptunbrunnen Der Neptunbrunnen wurde von Borst konzipiert, nachdem er die verkleinerte Kopie der Figur von Giambologna am Neptunbrunnen in Bologna erworben hatte. 1955 führte Ernst Laurenty (1885–1993) die dazugehörigen Hippokampen aus. Im Hintergrund sieht man mehrere Garagen, die bereits zur Erbauungszeit der Siedlung entstanden sind. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Garagenbauten von 1952
Garagenbauten von 1952 Weitere Garagen wurden 1952 hinter der Pickelstraße errichtet. Für die meisten heutigen Autos sind sie allerdings viel zu klein. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Die Hildebrandstraße in der Borstei
Die Hildebrandstraße in der Borstei Die Garagen reichen heute bei weitem nicht aus. Und so sind sämtliche Straßen vollgeparkt, wie hier die Hildebrandstraße, in der sich auch die Skulptur eines Hirschen befindet, die 1905 von Heinrich Düll (1867–1956) und Georg Petzold (1865–1943) für die Villa Lindenhof geschaffen und 1954 von Borst erworben wurde. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Erste Bauphase
Erste Bauphase Die ersten Häuser an der Ecke Dachauer-/Pickelstraße plante Borst noch mit kleinen Loggien. Nachdem die Bewohner dort jedoch ihre Wäsche aufhängten, verzichtete er bei der späteren Planung darauf. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
David, Kopie nach Donatello
David, Kopie nach Donatello 1954 erwarb Borst diese Figur des David nach dem Florentiner Original von Donatello im Antiquitätenhandel und stellte sie 1961 in die Rosenlaube. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Heizkraftwerk
Heizkraftwerk Dieses erste zentrale Heizkraftwerk im Wohnungsbau in Deutschland wurde früher mit Kohle betrieben. Später wurde auf Öl und Gas umgestellt. Bis 1993 produzierte die Borstei auch noch eigenen Strom, was aber unrentabel wurde. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Schornstein des Heizkraftwerks
Schornstein des Heizkraftwerks Der weithin sichtbare Schornstein wurde 2020 aufwendig restauriert. In einem Nistkasten leben seit vielen Jahren Turmfalken. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Sepp Frank, „Die Erbauung der Borstei“, 1931
Sepp Frank, „Die Erbauung der Borstei“, 1931 Die Verschönerung der Borstei beschränkte sich nicht nur auf Skulpturen in den Parks und Straßen, sondern beinhaltete auch Fassadenschmuck wie dieses Fresko von Sepp Frank (1889–1970) von 1931, das Bernhard Borst und seinen Sohn Friedrich (1911–1987) im Kreis weiterer Mitarbeiter zeigt. Der Sohn präsentiert der Jungfrau Maria die Borstei als Grundriss. Es ist als eine Form von Stifterbild zu verstehen und zeigt das Selbstverständnis des Erbauers. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Paul Bürck, „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen“, 1937
Paul Bürck, „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen“, 1937 Ein weiteres Fresko mit dem Titel „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen“ führte 1937 Paul Bürck (1878–1947) aus. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022
Paul Bürck, „Dein Leben [...]“, 1934/35
Paul Bürck, „Dein Leben [...]“, 1934/35 Von Paul Bürck stammen noch weitere Fresken in der Borstei. Eines von ihnen, 1934/35 entstanden, befand sich an der Rückfront des Hauses Dachauerstraße 142 – dem einzigen, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Es trug die Inschrift: „Dein Leben ist gebunden an das Leben deines ganzen Volkes. Das ist nicht nur die Wurzel für deine Kraft, sondern auch die Wurzel für dein Leben.“ Quelle: Velhagen & Klasings Monatshefte 49 (1935), Februar, S. 687.
„Pallas Athene“ („Die Borstei“)
„Pallas Athene“ („Die Borstei“) Ebenfalls von Ernst Laurenty stammt die Figur der „Pallas Athene“, die auf ihrem Schild den Grundriss der Borstei trägt. So werden sowohl die Jungfrau Maria im Fresko von Sepp Frank als auch die Göttin der Weisheit zu Schutzpatroninnen der Borstei. Erstellt von: Susanna Partsch, 2022

Ort

Dachauerstraße 140–146, 80637 München | öffentlich zugänglich

Metadaten

Susanna Partsch, “Die Borstei,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 21. November 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/45.