Eingeordnet unter Jugendstil

Das Münchner Künstler-Theater

Reliefbühne – ein „Drahtseilakt“

Als Teil der Ausstellung München 1908 auf der Theresienhöhe anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt wurde das Münchner Künstler-Theater als temporäre Festspielbühne für experimentelle Aufführungen durch den Theaterarchitekten Max Littmann errichtet, der bereits den Bau des 1901 fertiggestellten Schauspielhauses (heute: Münchner Kammerspiele) verantwortet hatte. Damit fand der Jugendstil mit seiner auf flache Kontur zielenden Kunst auch einen Niederschlag in der Theaterpraxis: Mit dem Bau des Künstler-Theaters wurde ein Ort für das Reliefbühnen-Prinzip auf sehr schmaler Bühnentiefe und ohne perspektivische Kulissen erprobt. Für die Foyerausstattung wurde, wie schon beim Prinzregententheater, der Bildhauer Hans Waderé verpflichtet. Die Fassade wurde vom Kunstmaler Julius Mössel mit geometrischem Dekor gegliedert.

Das Ausstellungsareal lag zu beiden Seiten des heute noch bestehenden Bavariaparks, 1908 nach Plänen von Gabriel von Seidl angelegt. Heute erinnern noch die großen, inzwischen renovierten Ausstellungshallen (heute: Deutsches Verkehrsmuseum) an diese Glanzzeit. Die Ausstellungspavillons hingegen waren als temporäre Bauten geplant, ebenso das Künstler-Theater – auch wenn sich letzteres durch eine qualitativ hochwertige Ausstattung hervortat. Der festliche Eindruck des Hauses resultierte aus der Verarbeitung edler Hölzer und einer bis ins kleinste Detail durchdachten Inneneinrichtung von Max Littmann; trotz der kurzgeplanten Nutzungsdauer war das Theater ein exzellentes Beispielobjekt für das Münchner Unternehmen Heilmann & Littmann, das für den Bau verantwortlich war.

Am Künstler-Theater kam es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Littmann und Georg Fuchs, Theaterreformer und Mitbegründer des Vereins Münchener Künstler-Theater, in der Planung und Umsetzung der Reformprinzipien. In seinen Reformideen für eine flächige Stilbühne bezog Fuchs sich auf ein „Relief-Prinzip“ des Bildhauers Adolf Hildebrand. Neben der an die Arena angelehnten Form des Theaters forderte Fuchs eine perspektivische Illusion im Bühnenbild. Er lehnte jedoch den Bühnennaturalismus ab und forderte die Abschaffung der Bühnenrampe, um eine größere Nähe zwischen Zuschauenden und Spielenden zu erzeugen. So wurde im Künstler-Theater eine Bühne mit sechs Meter Spieltiefe ohne Hinterbühne ausgeführt. Vom Zuschauerraum blickte das Publikum durch die Proszeniumsöffnung mit einer Höhe von zehn Metern auf einen 18,5 Meter breiten Bühnenraum. Ein blassblauer Bühnenvorhang, der von Margarethe von Brauchitsch entworfen war, steigerte den „intimen“ Raumeindruck. Der Künstler Fritz Erler entwarf für die Eröffnungspremiere die gesamte Ausstattung von Bühne und Kostümen zu Goethes Faust I. Er zählte zu den bevorzugten Illustratoren der Wochenzeitschrift Jugend sowie zu den Vertretern der Münchner Maler des Jugendstils.

1909 übernahm der Verein Ausstellungspark die künstlerische Leitung der Spielstätte und verpachtete sie für zwei Spielzeiten an den Regisseur Max Reinhardt, der mit dem Ensemble des Deutschen Theaters Berlin gastierte und die Einschränkungen der flachen Reformbühne teilweise umbaute. In der Praxis stellte vor allem die Kürze der Bühne eine Herausforderung für das Bühnengeschehen dar. Den Darsteller: innen blieben nur wenige Quadratmeter an Spielfläche, was sich für Kammerstücke als attraktiv, für personenreiche Szenen jedoch problematisch gestaltete. Geplant für eine nicht auf perspektivische Tiefenwirkung abzielende Ästhetik, wirkte sie in der dramatischen Darstellung eher schablonenhaft. Zeitgenoss:innen, wie u. a. der Regisseur Otto Falckenberg sowie auch die Presse äußerten sich belustigt über den „Drahtseilakt“ der Darsteller:innen, vor allem in „Massenszenen“ wie dem Osterspaziergang in Goethes Faust I. Dennoch wurde das Münchner Künstler-Theater als ein Beispiel der Reformbühne europaweit bekannt und hielt sich als umgebauter Aufführungsort für Theatergäste bis in die 1920er Jahre. Mit der NS-Zeit war das Gebäude dann dem Verfall preisgegeben. Während der Bombardierung Münchens im Zweiten Weltkrieg wurde auch das Künstler-Theater 1944 zerstört, die Fundamentreste 1949 abgetragen.

Bilder

Eingangsbereich des Münchner Künstler-Theaters, colorierte Postkarte um 1910
Eingangsbereich des Münchner Künstler-Theaters, colorierte Postkarte um 1910 Quelle: Deutsches Theatermuseum, ID 159743-VII1517
Außenansicht des Künstler-Theaters, Ausstellung München 1908
Außenansicht des Künstler-Theaters, Ausstellung München 1908 Quelle: Deutsches Theatermuseum, o. Nr.
Lageplan-Pause zum Ausstellungspark Theresienhöhe, datiert 6.3.1907
Lageplan-Pause zum Ausstellungspark Theresienhöhe, datiert 6.3.1907 Max Littmann erstellte den Plan im Maßstab 1:1000 auf Basis eines Plans des Stadtbauamts. Die Position des Künstler-Theaters ist weiß unterlegt. Quelle: Deutsches Theatermuseum, Nachlass Max Littmann, ID 56762
Schnittmodell des Künstler-Theaters aus Echtholz mit maßstabsgetreu umgesetzten Dekorationen aus dem Atelier Littmann, 1907/08
Schnittmodell des Künstler-Theaters aus Echtholz mit maßstabsgetreu umgesetzten Dekorationen aus dem Atelier Littmann, 1907/08 Quelle: Deutsches Theatermuseum, ID 49214
Schnittmodell des Künstler-Theaters, Atelier Littmann, 1907/08
Schnittmodell des Künstler-Theaters, Atelier Littmann, 1907/08 Quelle: Deutsches Theatermuseum, ID 49214
Szenenfoto der nach Reformprinzipien eingerichteten Bühne für „Was ihr wollt“. Ausstattung: Julius Diez, Premiere am 3.6.1908
Szenenfoto der nach Reformprinzipien eingerichteten Bühne für „Was ihr wollt“. Ausstattung: Julius Diez, Premiere am 3.6.1908 Quelle: Deutsches Theatermuseum, ID 22042, Inv. Nr. IV 6092
Szenenfoto mit Tilla Durieuy im II. Akt in der Titelrolle Circe im Künstlertheater, Premiere 18.5.1912)
Szenenfoto mit Tilla Durieuy im II. Akt in der Titelrolle Circe im Künstlertheater, Premiere 18.5.1912) Quelle: Münchner Illustrirte Nachrichten, 1912, Nr. 22, S. 344.
Ensemble-Pause am Künstler-Theater. Inszenierung „Orpheus in der Unterwelt“ von J. Offenbach, eine Max Reinhardt-Produktion (Premiere am 12.9.1911)
Ensemble-Pause am Künstler-Theater. Inszenierung „Orpheus in der Unterwelt“ von J. Offenbach, eine Max Reinhardt-Produktion (Premiere am 12.9.1911) Quelle: Münchner Illustrirte Zeitung, Nr. 30, S. 472.

Ort

Am Bavariapark 14, 80339 München - Parkplatz hinter Kongresshalle/ Wirtschaft Fräulein Wagner | ehemaliger Ort zugänglich

Metadaten

Birgit Kadatz-Kuhn und Petra Kraus, “Das Münchner Künstler-Theater,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 8. November 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/176.