
Das Haus an der Poschingerstraße 1 im Münchner Herzogpark war ab 1914 Wohnsitz des Schriftstellers Thomas Mann und seiner Familie. In seinen Romanen und Erzählungen jener Zeit spiegelt sich die Lebenswelt des Dichters im Kleinen wie im Großen, doch mit dem Exil ab 1933 ging sie für immer verloren. Nach dem Krieg war das einst so geliebte Haus eine Ruine. Heute steht an seiner Stelle ein moderner Nachbau und eine Gedenktafel hält die Erinnerung wach.
Das Grundstück an der Isar erwarben Katia und Thomas Mann am 25. Februar 1913 und ließen sich darauf von den Architektenbrüdern Alois und Gustav Ludwig eine Villa errichten. Am 5. Januar 1914, Katia weilte gerade zur Erholung in Arosa in der Schweiz, zogen Thomas und die Kinder Erika, Klaus, Golo und Monika von der Doppelwohnung in der nahen Mauerkircherstraße 13 in das neue Haus. Ein paar Jahre später kamen hier die beiden Jüngsten, Elisabeth und Michael, zur Welt. Sie waren es auch, die an einem Herbstnachmittag des Jahres 1929 ins Schlafzimmer ihres Vaters im ersten Stock schleichen durften, um ihn zu wecken und ihm die Nachricht von der Verleihung des Literaturnobelpreises zu überbringen.
Das Haus, das die Kinder die „Poschi“ nannten, beschreibt der Biograf Peter de Mendelssohn wie folgt: „Die Haustür befand sich auf der Rückseite des Hauses. Man betrat einen Vorraum mit einer Garderobe, der in eine holzgetäfelte Diele mit hohen Bücherschränken an allen Wänden, einem Kamin und einer Treppe nach oben führte. [...] Von der Diele ging es auf der einen Seite in den Salon, einen dreifenstrigen Raum, in dem der Flügel und Katias Bibliothek standen und in dem sich in einer Ecke der „Besuchsteetisch“ befand, auf der anderen Seite in das große Eßzimmer, das sich auf eine gedeckte Veranda oder Terrasse öffnete. […] Den Mittelteil zwischen Salon und Eßzimmer nahm Thomas Manns geräumiges Arbeitszimmer mit der Flügeltür und der Steintreppe zum Garten ein. Der Schreibtisch stand in der „Rondell“-Wölbung, so daß er von drei Seiten Licht erhielt. [...] „Wenn abends“, so erinnerte sich Erika, „die grünen Samtportieren vor den hohen Fenstern und der Terrassentür geschlossen waren und dafür die Flügeltüren offen standen zwischen Arbeitszimmer und Diele, zeigte der Hausherr sich immer aufs neue entzückt. Denn es gewährte dies Arrangement, wie er häufig verkündete, einen äußerst herrschaftlichen Durchblick.“ (zitiert nach Mendelssohn, 1975/1996, S. 1550–1552).
In der Erzählung „Herr und Hund“ von 1919 verewigte Thomas Mann die Spaziergänge mit seinem Hund Bauschan durch die noch ungezähmte Natur entlang der Isar. Ausgangspunkt ist dabei der Blick des Schriftstellers aus dem Arbeitszimmer auf den unruhig im Garten auf ihn wartenden Hund.
„Und dann treten wir durch die Gartenpforte ins Freie. Rauschen wie das des Meeres umgibt uns; denn mein Haus liegt fast unmittelbar an dem schnell strömenden und über flache Terrassen schäumenden Fluss, getrennt von ihm nur durch die Pappelallee, einen eingegitterten, mit jungem Ahorn bepflanzten Grasstreifen und einen erhöhten Weg, den gewaltige Espen einsäumen, weidenartig bizarr sich gebärdende Riesen, deren weiße, samentragende Wolle zu Anfang Juni die ganze Gegend verschneit.“ (zitiert nach Große kommentierte Frankfurter Ausgabe 6.1, S. 17–18).
Auch im Roman „Der Zauberberg“ von 1924, der in Davos spielt, tauchen immer wieder Gegenstände aus dem Münchner Haus in tragenden Rollen auf. Dem Grammophon, das in der unteren Diele stand und auf dem Thomas Mann seine Lieblingsplatten spielte, ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Bedient wird es vom Protagonisten Hans Castorp, der sich in einem Salon des Sanatoriums Berghof bis tief in die Nacht dem Zauber der Musik hingibt.
Das bewegte und tätige Leben in der „Poschi“ währte zwar länger als Hans Castorps Aufenthalt auf dem Zauberberg, aber nach 19 Jahren war es abrupt zu Ende. Elf Tage nach Hitlers Machtergreifung 1933 verließen Thomas und Katia Mann die Villa für eine Vortragsreise und kehrten nie wieder zurück. Fortan lebten sie und ihre Kinder im Exil, in Südfrankreich, in der Schweiz und schließlich in den USA. Thomas Mann war als Gegner der Nationalsozialisten geächtet. Der gegen ihn im Juli 1933 verhängte Schutzhaftbefehl hätte ihn, wäre er damals zurückgekehrt, ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Das Haus im Herzogpark wurde von der Bayerischen Politischen Polizei beschlagnahmt, das Inventar zwangsversteigert, das auf Bankkonten verbliebene Vermögen eingezogen. Sogar die deutsche Staatsbürgerschaft wurde den Manns aberkannt. Sie sollten, außer zu Stippvisiten, nie wieder nach München zurückkehren.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war ihr Haus an der Isar nichts mehr als eine verwahrloste Ruine. Nach der Rückerstattung 1948 ließ Thomas Mann das Gebäude 1952 abreißen und verkaufte das Grundstück an einen Apotheker, der auf den alten Grundmauern einen Bungalow errichten ließ. Seit 2006 steht an selber Stelle eine moderne Villa, deren Äußeres das Haus von 1914 in abgeklärten Formen zitiert. Eine vom Thomas-Mann-Forum München an der Gartenmauer angebrachte Gedenktafel erinnert an die Familie Mann und das Schicksal ihres Hauses. Die Villa existiert übrigens noch ein zweites Mal. Ein originalgetreuer Nachbau war für die Dreharbeiten des Dreiteilers „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ von 2001 in der Bavaria Filmstadt entstanden. Heute ist auch dieses Haus verändert, umfunktioniert zum Hotel Fürstenhof der Daily Soap „Sturm der Liebe“. So bleiben nur die Filmtrilogie und einige mit historischen Fotos bebilderte Publikationen, um sich in das Haus Thomas Manns und seiner Familie zurückzuversetzen.
Bilder








