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Das baiuvarische Reihengräberfeld von Aubing

Die ersten Baiuvaren und die früheste Kirche im Münchner Stadtgebiet?

Bereits 1938 konnten in Aubing (Stadtkreis München) zahlreiche Gräber aus dem frühen Mittelalter archäologisch untersucht werden. In den 1960er Jahren gelang der Brückenschlag zu den zuvor nicht erschlossenen Teilen dieses großen Friedhofs des 5. bis 7. Jahrhunderts n. Chr. So wurde im Münchner Westen ein baiuvarischer Bestattungsplatz annähernd vollständig untersucht, was in dieser Größenordnung bisher einzigartig für Bayern ist. Die Grabfunde und weitere Beobachtungen beleuchten schlaglichtartig den Übergang von Römern zu den frühen Baiuvaren und erlauben Rückschlüsse auf die wachsende Bedeutung des Christentums in dieser Zeit.

Eine archäologische Sensation! 1938 wurde in Aubing beim Abbau von Schotter für den Gleisbau eines neu geplanten Verschiebebahnhofs ein baiuvarischer Friedhof entdeckt. Aufmerksame Arbeiter bemerkten menschliche Überreste und Grabbeigaben und informierten das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das unverzüglich tätig wurde. Innerhalb von nur zwei Monaten wurden damals 358 Bestattungen untersucht. Die meisten waren im 6. Jahrhundert angelegt worden. Einige reichen aber auch in die 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts zurück, die Zeit kurz nach dem Ende der römischen Herrschaft. Der Zweite Weltkrieg beendete dann alle weiteren Grabungsvorhaben.

Erst ab 1961 kam es unter der Leitung der Archäologischen Staatssammlung zu erneuten Ausgrabungen mit dem Ziel, die gesamte Fläche des Friedhofs zu erfassen. Bis 1963 wurden weitere 477 Gräber entdeckt. Besonders wichtig war hierbei die Suche nach dem Anschluss an die Grabungsgrenze von 1938. Die Ausmachung der ehemaligen Randbereiche des Friedhofs zeigte den Archäolog:innen, dass sie das anvisierte Ziel der vollständigen Untersuchung eines baiuvarischen Friedhofs erreicht hatten.

Die Fundstelle der frühmittelalterlichen Begräbnisstätte von Aubing liegt im westlichsten Teil der Münchner Schotterebene, ungefähr 12 Kilometer vom heutigen Stadtzentrum entfernt. Vorrangig dürfte der wichtige Verkehrsweg des Würmtals für die frühmittelalterliche Bevölkerung eine entscheidende Bedeutung bei der Platzwahl zur Errichtung ihrer Dörfer und Höfe gehabt haben. Diese Dörfer wurden im frühen Mittelalter aus Holz gebaut, sind deshalb nicht erhalten und für Archäolog:innen oft nur schwer zu finden. Sie werden deshalb meistens nur indirekt durch die dazugehörigen charakteristischen Friedhöfe angezeigt. Im frühen Mittelalter war es üblich, die Gräber gleichmäßig ausgerichtet in langen Reihen anzulegen. Deshalb werden diese Friedhöfe, die unseren heutigen ähneln, auch als „Reihengräberfelder“ bezeichnet. Einer dieser Begräbnisplätze war also in Aubing gefunden worden.

Aber was konnten die Wissenschaftler:innen dort konkret feststellen? Zum einen, dass die Belegung des Reihengräberfeldes offenbar von Norden, wo die älteren Bestattungen angetroffen wurden, in Richtung Süden erfolgt war. Innerhalb von mehr als 200 Jahren erreichte der Bestattungsplatz somit Ausmaße von circa 120 × 55 Metern. Besonders auffällig war, dass die Menschen, die den Friedhof anlegten, sich bei der Ausrichtung an einem römerzeitlichen Graben orientierten. Dieser war im Frühmittelalter offenbar noch sichtbar und bildete immer die westliche Begrenzung.

Die Verstorbenen in den 862 Gräbern wurden zumeist in Rückenlage und mit dem Kopf im Osten beigesetzt. Abweichungen kommen vor, sind aber selten. Die bis ins 8. Jahrhundert noch üblichen Grabbeigaben bestehen bei den Männern besonders aus ihren Waffen und verzierten Gürteln. Frauen wurden vor allem ihr Schmuck und ihre oft kunstvoll gefertigten Gewandverschlüsse (Fibeln) mit ins Grab gelegt. Dinge, die den Verstorbenen im Leben sicher wichtig waren. Diese oft sehr wertvollen Gegenstände lockten Grabräuber an, was in Aubing durch eine „Zerwühlung“ der Skelette und sogar das verlorene Werkzeug eines Plünderers angezeigt wurde.

Als Besonderheit dürfen die festgestellten Spuren von Grabeinfassungen oder Überbauten gelten. Der an der östlichen Grenze des Gräberfeldes nachgewiesene Grundriss eines kleinen Holzgebäudes nimmt Bezug auf die Ausrichtung der Gräber und kann eventuell als sehr frühe christliche Kapelle oder Kirche angesehen werden. Sollte diese Theorie sich bestätigen, wäre das Friedhofsgebäude mit einer mutmaßlichen Erbauung um 700 die früheste Kirche im Münchner Stadtgebiet.

Bilder

Ausgrabung des Reihengräberfelds in Aubing, 1938
Ausgrabung des Reihengräberfelds in Aubing, 1938 Eine Ausgrabung am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Als Ende 1938 das Reihengräberfeld in Aubing entdeckt wurde, musste es offensichtlich schnell gehen. Es wurden schmale Gräben angelegt, in denen nach Hinweisen auf Gräber gesucht wurde. Wo sie auftauchten, wurde ausgegraben. Es steht zu befürchten, dass durch diese Methode doch einige Gräber übersehen wurden. Quelle: Hermann Dannheimer: Das baiuwarische Reihengräberfeld von Aubing, Stadt München, Stuttgart 1998, Taf. 87,1.
Befundplan des Reihengräberfelds von Aubing
Befundplan des Reihengräberfelds von Aubing In Reih und Glied: Im Gesamtplan der ausgegrabenen Fläche wird deutlich, warum die Friedhöfe des frühen Mittelalters als „Reihengräberfelder“ bezeichnet werden. Weitgehend gleichmäßig ausgerichtet, liegen die Gräber in langen Reihen, die teilweise über Jahrhunderte fortgesetzt wurden. Quelle: Hermann Dannheimer: Das baiuwarische Reihengräberfeld von Aubing, Stadt München, Stuttgart 1998, Plan 1.
Luftbild Planum, 1962
Luftbild Planum, 1962 In den 60er Jahren gingen die Archäologen gründlicher vor. Es wurde die gesamte Fläche freigelegt, bis man die Grenzen des Friedhofes und alle Gräber erfasst hatte. Erst dann wurden die einzelnen Bestattungen untersucht. Quelle: Hermann Dannheimer: Das baiuwarische Reihengräberfeld von Aubing, Stadt München, Stuttgart 1998, Taf. 88,1.
Grab mit Waffenbeigabe
Grab mit Waffenbeigabe Den Toten wurde im frühen Mittelalter ein Teil ihres persönlichen Besitzes mit ins Grab gegeben. Bei einigen Männern war es vor allem ihre Bewaffnung. Dem Verstorbenen auf dem Bild haben die Hinterbliebenen beispielsweise sein Schwert (Spatha) und ein vielseitig einsetzbares Hiebmesser (Sax) beigegeben. Aber auch Speere, Pfeile, Äxte oder Schilde tauchen in frühmittelalterlichen Gräbern regelmäßig auf. Quelle: Hermann Dannheimer: Das baiuwarische Reihengräberfeld von Aubing, Stadt München, Stuttgart 1998, Taf. 93,7.
Grabbeigaben einer Frau
Grabbeigaben einer Frau Frauen wurden vor allem mit ihrem Schmuck und modischem Kleidungszubehör begraben. Auf dem Foto von 1938 sieht man, was von diesen Beigaben erhalten ist: Eine Kette aus bunten Glasperlen, eine verzierte Schnalle und vor allem die modischen Gewandverschlüsse (Fibeln), die den Archäologen durch ihre typischen Formen heute sehr bei der Datierung von Gräbern helfen. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: unbekannt
Glasbecher aus Aubinger Gräbern
Glasbecher aus Aubinger Gräbern Neben Schmuck und Waffen gibt es in den Gräbern auch Beigaben, die eher als Gefäße für die „Wegzehrung“ auf der Reise ins Jenseits gedeutet werden. Neben einfachen Tontöpfen und Krügen tauchen auch Glasbecher auf, die im Frühmittelalter sicher als nobles Geschirr galten. Vor allem der „Rüsselbecher“ von Aubing kann als besonders extravagantes Exemplar gelten. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: M. Eberlein
Collier mit Kopien byzantinischer Münzen
Collier mit Kopien byzantinischer Münzen Glanz aus Byzanz? Aus einem Frauengrab des 6. Jahrhunderts stammt diese farbenfrohe Kette aus 35 Glasperlen, welche mit drei Anhängern aus Gold versehen ist. Es handelt sich bei diesen jedoch mitnichten um echte Münzen, sondern um Abdrücke in dünnem Goldblech, für die ein Geldstück mit dem Bild des byzantinischen Kaisers Justinian (527–565 n. Chr.) als „Kopiervorlage“ diente. Es ist davon auszugehen, dass die frühesten Baiuvaren sich noch auf römische Traditionslinien beriefen und sich mit entsprechender Symbolik schmückten. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: M. Eberlein
Granatscheibenfibel aus Grab 244 von Aubing
Granatscheibenfibel aus Grab 244 von Aubing Klein und doch ganz groß: Diese „Granatscheibenfibel“ aus dem 6. Jahrhundert diente als schmückender Gewandverschluss. Bei dem Exemplar aus einem Frauengrab handelt es sich mit einem Durchmesser von nur 1,6 cm zwar um das bisher kleinste in Bayern bekannte, es wurde jedoch mit dem zweitgrößten bisher im bayerischen Frühmittelalter bekannten Granat versehen. Dass der Stein aus Indien importiert wurde, belegt die umfangreichen Fernhandelsbeziehungen der Baiuvaren. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: M. Eberlein
Fingerringe mit christlicher Symbolik
Fingerringe mit christlicher Symbolik Über die religiösen Vorstellungen der Baiuvaren kann nicht allgemeingültig geurteilt werden. In den zwei bronzenen Fingerringen findet sich aber eine eindeutige Symbolik, die belegt, dass sich unter den Bestatteten in Aubing im 6. Jahrhundert Christen befanden. Quelle: Archäologische Staatsammlung München Erstellt von: M. Eberlein
Gebäudegrundriss von der östlichen Grenze des Gräberfeldes
Gebäudegrundriss von der östlichen Grenze des Gräberfeldes Älteste Kirche in München? Bei dem Gebäude, von dem sich nur noch die Standlöcher der Stützpfosten erhalten haben, ist ungewiss, ob man es als christliche Kirche ansprechen kann oder ob es eher ein Raum zur privaten Andacht war. Es ist jedoch anzunehmen, dass es in einer späten Phase des Gräberfeldes angelegt worden ist, als das Christentum schon weit verbreitet war. Quelle: Hermann Dannheimer: Das baiuwarische Reihengräberfeld von Aubing, Stadt München, Stuttgart 1998, S. 32, Abb. 10.
Das Werkzeug eines Grabräubers und was beim Grabraub übersehen wurde
Das Werkzeug eines Grabräubers und was beim Grabraub übersehen wurde Ein Gabelzinken und ein Goldblechanhänger. Wie viele andere Funde aus dem Reihengräberfeld von Aubing sind auch diese archäologischen Zeugnisse in der neuen Dauerausstellung der Archäologischen Staatssammlung ausgestellt. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: S. Friedrich

Ort

Bergsonstraße 134, 81245 München

Metadaten

Brigitte Haas-Gebhard und Tobias Heuwinkel, “Das baiuvarische Reihengräberfeld von Aubing,” MunichArtToGo, accessed 27. Juli 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/156.