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Der Königsplatz und Ludwigs Isar-Athen

Ideales Vorbild oder konkretes Gestaltungsprinzip Luwigs I.?

Das Ideal des Königs von Bayern war es, ein Athen-gleiches München an der Isar zu schaffen. Der Ort, an dem dieses Bestreben bis heute am besten erkennbar wird, ist der Königsplatz.

„Ich werde nicht ruhen, bis München aussieht, wie Athen!?!“ – so soll sich gemäß dem Historiker Johann Nepomuk Sepp der junge König Ludwig I. bei seinem Regierungsantritt 1825 geäußert haben. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich das Bild Griechenlands europaweit durch Ausgrabungen, Reisen und Reiseberichte verbreitet. Wie beeindruckend die Ruinen der Antike auch auf König Ludwig I. (1786–1868) gewirkt haben müssen und welche Sehnsüchte sie in ihm hervorriefen, wird an seinem Ausruf beim Anblick der Tempelreste in Paestum deutlich: „Lieber, denn Erbe des Throns, wär‘ ich ein hellenistischer Bürger, In den Gedanken wie oft träumt‘ ich mich sehnend zu euch.“ (zit. nach Habel 1981, S. 175).

Der passionierte Kunstliebhaber und Philhellene Ludwig I. unterstützte intensiv den griechischen Freiheitskampf (1821–1829), der schließlich in einer 30-jährigen Regentschaft seines Sohnes Otto als König von Griechenland gipfelte. München selbst versuchte Ludwig I. in ein „Isar-Athen“ zu verwandeln: Die griechische Antike sollte wiedererstehen und München kulturelles Zentrum Deutschlands werden. Diese Absicht suchte Ludwig vor allem durch Neubauten im griechischen Stil auf dem Königsplatz zu verwirklichen. Auch an anderen Orten Bayerns wollte er die Antike anhand von Architektur wiederbeleben und auf diese Weise die versunkene Kultur Griechenlands bewahren (beispielsweise in München durch das Siegestor und die Ruhmeshalle, durch die Walhalla bei Regensburg oder das Pompejanum in Aschaffenburg).

Gleichwie der Staatsmann Perikles im 5. Jahrhundert v. Chr. ein glanzvolles Bauprogramm auf der Athener Akropolis förderte, sah sich auch der König von Bayern in seiner Bautätigkeit selbst als „neuer Perikles“ an und wollte München zur "Kunststadt" erheben.

Ludwig I. wünschte sich ein Antikenmuseum im „reinsten antiken Styl“ (zit. nach Nerdinger 1999, S. 187). Sein bevorzugter Architekt, Leo von Klenze (1784–1864), entwarf den Bau, der 1830 – mit deutlichen Bezügen zu antiken Vorbildern wie dem Athenatempel in Priene – fertiggestellt wurde. Schon der Name Glyptothek – ein Neologismus aus γλυπτός (glyptos) und θήκη (theke) – drückte aus, wofür das Museum geschaffen wurde: zur Aufbewahrung der beeindruckenden antiken Skulpturensammlung Ludwigs I. Diese umfasste herausragende Skulpturen, wie die von seinem persönlichen Kunstsammler Johann Martin von Wagner angekaufte Figurengruppe aus dem Aphaiatempel in Ägina – die Ägineten –, deren Ausgrabungen bereits 1810 von Ludwig I. gefördert worden waren.

Auch die Giebelfiguren der Glyptothek dienten als Verweis auf die Antike. So deutet die Eule als Attribut der Stadtgöttin Athena auf die griechische Stadt und die Weisheit sowie die Bildung des Menschen durch das neue, öffentliche Museum hin. Ludwig und Klenze wollten zusammen ein Ensemble dreier griechischer Säulenordnungen – ionische Glyptothek, dorische Propyläen und korinthische Antikensammlungen – erschaffen und so die antiken Formen „für den bairischen Himmel und Luft und Sonne“ (zit. nach Fendt 2021, S. 14) auf dem Königsplatz vereinen. Ludwig sei diesbezüglich sehr auf Authentizität der griechischen Architektur bedacht gewesen, um die „historische Aura“ (Nerdinger 1999, S. 187) Athens nach München zu übertragen. Zu seinem Museumsbau habe er folgende Verse gedichtet (zit. nach Baumstark 2000, S. 14), die das Ideal seines „Isar-Athen“ mustergültig illustrieren:

„Sie ragt, ein Ideal, verklärt,
In griechischen Himmels tiefer Bläue,
Voll Würde, in erhabnem Werth,
Und Hellas lebet auf das Neue.“

Neben den griechischen Künstlern und Professoren, die wie Nikolaus Gysis (1842–1901) an der Münchner Akademie der bildenden Künste lehrten, spielte der Vorbildcharakter Griechenlands noch im 20. Jahrhundert insofern eine Rolle, als die im Oktober 1933 zur „Hauptstadt der Deutschen Kunst“ erklärte frühere „Kunststadt München“ ausgerechnet den Kopf der Pallas Athene zum Signet bestimmte.

Bilder

Königsplatz mit Propyläen und Glyptothek, 1905
Königsplatz mit Propyläen und Glyptothek, 1905 Auf der grünen Platzanlage des Königsplatzes erheben sich noch heute die Bauten von Ludwigs Isar-Athen und vereinen die drei griechischen Säulenordnungen zu einem „Bild des reinen Hellenismus“ (zit. nach Nerdinger 1999, S. 190). Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 377395 Erstellt von: Dr. Trenkler & Co., Leipzig
Luftaufnahme mit Königsplatz, vor 1933
Luftaufnahme mit Königsplatz, vor 1933 Karl von Fischer konzipierte die Platzanlage des Königsplatzes nach dem Vorbild der Athener Akropolis. Leo von Klenze übernahm anschließend das Konzept und entwarf die Glyptothek sowie die Propyläen, Georg Friedrich Ziebland plante die Antikensammlungen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 385886
Monumentalplan von München, ca. 1865
Monumentalplan von München, ca. 1865 Der Plan mit den Maßen 385 x467 mm zeigt Monumentalbauten Münchens um 1865. Um den Königsplatz herum sind Glyptothek, Propyläen und Antikensammlungen zu sehen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, ZI-76/400A Erstellt von: Carl Seitz
Josef Bühlmann: Königsplatz, 1869
Josef Bühlmann: Königsplatz, 1869 Federzeichnung auf Papier, laviert, 88,6 cm x 32,1 cm – Der Architekt Joseph Bühlmann entwarf – nach Fertigstellung der drei bis heute bestehenden Bauwerke des Königsplatzes – diese Idealvorstellung und Ergänzung der Platzanlage mit reichlichen Antike-Zitaten. Die Siegessäule im Zentrum, die seitlichen Säulenumgänge an den Propyläen und die Podeste mit den Dioskuren Kastor und Pollux auf der gegenüberliegenden Seite, die den Platz optisch abschließen, ähneln hier eher dem Forum Romanum der späten Kaiserzeit. Quelle: Architekturmuseum der TUM, Signatur: bueh_j-12-2
Südfassade der Glyptothek am Königsplatz, 1855
Südfassade der Glyptothek am Königsplatz, 1855 Die Glyptothek wurde von 1816 bis 1830 nach Plänen Leo von Klenzes (1784–1864) errichtet. Im Giebel ist Athena als Beschützerin der Künste zu sehen, die Nischenfiguren an der Fassade stellen Künstler der Antike dar sowie zeitgenössische Künstler bzw. Repräsentanten der Renaissance. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 372974 Erstellt von: Franz Seraph Hanfstaengl
Akropolis, Athen: Erechtheion, Nordhalle
Akropolis, Athen: Erechtheion, Nordhalle Der Portikus der Münchner Glyptothek erinnert mit seinen ionischen schlanken Säulen und dem Drei-Faszien-Architrav an das Erechtheion auf der Athener Akropolis (420-406 v.Chr.) oder an den Athenatempel in Priene (4. Jh. v.Chr.). Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 361221 Erstellt von: Walter Hege
Außenansicht der Antikensammlungen, 1880/1890
Außenansicht der Antikensammlungen, 1880/1890 Das tempelartige Gebäude der Staatlichen Antikensammlungen (ehemals Kunstausstellungsgebäude) wurde von 1838 bis 1845 von Georg Friedrich Ziebland (1800–1873) in der korinthischen Ordnung errichtet. Die Bavaria im Giebelfeld und der Phönix-Akroter auf dem Dach sollen die „Auferstehung“ und Wiedergeburt Bayerns im antiken Gewand versinnbildlichen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, Th154609
Innenansicht der Glyptothek, 1930/40
Innenansicht der Glyptothek, 1930/40 Das Innere der Glyptothek war mit reichen Fresken von Peter Cornelius, Stuckarbeiten und opus sectile am Boden ausgestattet. Dies bot den Skulpturen Ludwigs I. einen imposanten Schauplatz. Ludwig habe zu Wagner Folgendes gesagt: „An Zahl werden die großen Museen das meinige übertreffen, in der Quantität kann sich nicht, an Qualität soll sich meine Sammlung auszeichnen.“ (zit. nach Putz 2014, S. 44). Im Vordergrund ist eines der bedeutendsten Stücke der Sammlung, die hellenistische Skulptur des Barberinischen Fauns (um 220 v.Chr.), in Rückenansicht zu sehen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 021071-1 Erstellt von: F. Kaufmann
Propyläen, Leo von Klenze, 1854/1862, Außenansicht Feldseite, 1880/1886
Propyläen, Leo von Klenze, 1854/1862, Außenansicht Feldseite, 1880/1886 Fertig gestellt durch private Finanzierungen Ludwigs I. wurde aus der ursprünglich als Stadttor konzipierten Toranlage ein Denkmal für den Freiheitskampf Griechenlands und eine Huldigung an Otto von Griechenland und damit eine monumentale Verbindung zwischen Isar und Athen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 357104
Athen, Akropolis: Propyläen, Ostansicht
Athen, Akropolis: Propyläen, Ostansicht Die Propyläen auf dem Münchner Königsplatz wurden von 1854–1862 nach Plänen Leo von Klenzes errichtet. In der Münchner Version wurde beispielsweise die sechssäulige Fassade und der Metopen-Triglyphen-Fries der Athener Propyläen, der Toranlage zur Akropolis, aufgegriffen. Waren die Münchner Propyläen ursprünglich als Stadttor geplant, fungieren sie heute eher als Zugang zum Münchner Museumsareal. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 367765 Erstellt von: Walter Hege
Adolf Oberländer: „Lebensbilder aus Alt-Athen und Isar-Athen“
Adolf Oberländer: „Lebensbilder aus Alt-Athen und Isar-Athen“ Adolf Oberländer (1845–1923) fertigte diese Karikaturenserie für die Satirische Zeitschrift „Fliegende Blätter“ an. Humoristisch deckt er auf, worin die Unterschiede zwischen Alt-Athen und Isar-Athen liegen. Statt athletischer, körperlicher Fortbildung versuche man mit Stift und Papier das Rad vergeblich neu zu erfinden. Quelle: Fliegende Blätter 84 (1886) Heft 2127, S. 137
Adolf Oberländer: „Lebensbilder aus Alt-Athen und Isar-Athen“
Adolf Oberländer: „Lebensbilder aus Alt-Athen und Isar-Athen“ Adolf Oberländer (1845–1923) karikierte die Unterschiede zwischen Alt-Athen und Isar-Athen. Der Volutenhenkel des Gefäßes mit dem Olivenbäumchen wird zum geschwungenen Griff des Sonnenschirms der Isar-Athen-Dame. Die Natürlichkeit des langen Chitons links wandelt sich zum ausgreifenden, überspitzten Kleid mit Wespentaille rechts. Quelle: Fliegende Blätter 84 (1886) Heft 2126, S. 129
Nikolaus Gysis: Historia, 1892
Nikolaus Gysis: Historia, 1892 Nikolaus Gysis (1842–1901), auch bekannt als Nikolaus Ghizis, trat 1865 in die Antikenklasse der Münchner Akademie (Matr. 02162) ein. Nachdem er auch bei Carl Theodor von Piloty in dessen Meisteratelier gelernt hatte, machte er sich als Künstler und Professor an der Akademie einen Namen. Seine griechische Herkunft zeigt sich auch in Werken mythologischen Gehalts sowie in Darstellungen des griechischen Lebens. Auf seinem Ölgemälde Historia, welches noch 1903 als Titelemblem des Katalogs der Münchener Jahresausstellung diente, zeigen sich griechisches Ideal und Münchner Kindl in Einklang. Quelle:

Links: Nikolaus Gysis: Historia, 1892, Öl auf Leinwand, Privatsammlung (Wikimedia Commons) – Rechts: Münchener Künstler-Genossenschaft: Offizieller Katalog der Münchener Jahresausstellung 1903 im kgl. Glaspalast, München 1903.

Titelblatt des Katalogs der Großen Deutschen Kunstausstellung, 1940
Titelblatt des Katalogs der Großen Deutschen Kunstausstellung, 1940 Neben Reichsadler mit Hakenkreuz im Eichenkranz und Fackel ist im runden Emblem auf der Titelseite der Kopf der Pallas Athene im Profil zu sehen. 1938 erschien auch das Buch „Unsterbliches Hellas“, herausgegeben von Charilaos Kriekoukis, welches ebenfalls einen Bezug zum antiken Griechenland für rassenideologische und propagandistische Zwecke herzustellen versuchte. Quelle: Große Deutsche Kunstausstellung 1940; im Haus der Deutschen Kunst zu München, Juli bis Oktober 1940, München 1940.

Ort

Königsplatz, 80333 München | frei zugängliche Platzanlage

Metadaten

Hannah Rathschlag, “Der Königsplatz und Ludwigs Isar-Athen,” MunichArtToGo, zugegriffen am 28. März 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/58.