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Fundort: Odeonsplatz

Ein antiker griechischer Grabstein

Was uns ein griechischer Grabstein über Recycling in der Antike und die Geschichte des Antiquariums in der Münchner Residenz erzählen kann.

Man fragt sich: „Was hat ein griechischer Grabstein mit der Geschichte der Stadt München zu tun?“ Tatsächlich erzählt er erstaunlich viel über die Antikenbegeisterung und Sammelleidenschaft von Herzog Albrecht V. von Bayern und seinen Nachfahren. Gleichzeitig öffnet er einen Blick dafür, wie man bereits in der Antike Recycling betrieben hat.

Das schlecht erhaltene Relief mit den Maßen 34 x 74 cm hat die Form eines Tempelchens. In diesem erkennt man noch einen frontal stehenden Mann in einem kunstvoll ausgearbeiteten Gewand. Er wendet sich leicht vom Betrachter und einem nackten Knaben weg, der eine kleine Weinkanne trägt. Der Grabstein kann in die Jahrhunderte um Christi Geburt datiert werden. Damals war Griechenland ein Teil des Römischen Reiches. Wie kam nun dieser Grabstein von Griechenland nach München, an den Odeonsplatz?

Diese Frage stellte sich bereits dem Star-Architekten Leo von Klenze (1784–1864), als im frühen 19. Jahrhundert die alte Stadtmauer am einstigen Schwabinger Tor abgetragen wurde, um den heutigen Odeonsplatz zu schaffen. Bei diesen Bauarbeiten entdeckte man nämlich den Grabstein. Die Verwunderung über diesen Fund am Rand der Münchner Altstadt zeigt sich in dem Bericht, den Leo von Klenze 1822 an König Ludwig I. schrieb, denn er notiert: „(…) wohin es, Gott weiß wie, gekommen sein mag.“ (zitiert nach Weski 2009, S. XXXVII). Obwohl vielleicht manch einer das Auffinden eines antiken Grabsteins in der Münchner Altstadt gerne als Hinweis auf einen römischen Ursprung Münchens deuten möchte, ist diese Theorie kaum haltbar.

Mit höherer Wahrscheinlichkeit stammt das Relief nämlich aus dem Antiquarium der Münchner Residenz. Dieses wurde bereits im Jahr 1568 im Auftrag von Herzog Albrecht V. für seine Sammlung antiker Figuren errichtet und ist heute das älteste noch erhaltene Gebäude des Residenzschlosses. Um seine Ausstellung zu bestücken, kaufte der Herzog viele antike Skulpturen ein. Allerdings war Albrecht kein Antikensammler, der nur seinem privaten Vergnügen nachging. Vielmehr war der Bau des Antiquariums und die Ausstellung der Antiken ein Teil der fürstlichen Selbstdarstellung und sollte den kulturellen Reichtum der bayerischen Herzöge repräsentieren.

Sein Sohn und Nachfolger Wilhelm V. (1548–1626) war von der Sammlung seines Vaters nicht mehr ganz überzeugt und ließ das Antiquarium in einen prachtvollen Ball- und Bankettsaal umgestalten. Da in diesem kein Platz mehr für große Statuen und Stelen war, mussten sie weichen und nur die Büsten der römischen Kaiser und ihrer Familien durften bleiben. Doch was tun mit den nun unerwünschten Antiken? Albrecht V. hatte die Sammlung in seinem Testament zum unantastbaren Hausschatz erklärt, weshalb die Entsorgung der Kunstwerke nicht in Frage kam. Stattdessen entschied man sich dafür, die Antiken in die Gärten auszulagern. Dort waren sie allerdings der Witterung ausgesetzt, was vermutlich dazu führte, dass sie beschädigt wurden und nach und nach verschwanden. Es ist gut möglich, dass das Relief ebenfalls zunächst im herzoglichen Garten landete, dort immer mehr verwitterte und schließlich doch entsorgt wurde. Der Sohn Wilhelms V., Maximilian I. hatte wieder mehr für antike Kunst übrig als sein Vater und ließ den Prunksaal in eine Antikensammlung zurück widmen. Der Grabstein aber sollte erst ca. 200 Jahre später den Weg zurück ans Tageslicht finden.

Besonders spannend: Der Stein wurde offenbar bereits in der Antike recycelt! Die griechische Inschrift auf ihm lautet nämlich: „Der Stadtrat und das Volk verleihen einen goldenen Kranz an Eutaktos, Sohn des Eutaktos, angesichts seiner Freigebigkeit gegenüber seiner Heimatstadt.“ Das hat inhaltlich Nichts mit einem Grabstein zu tun und nach den Buchstabenformen wurde die Inschrift auch erst 300 Jahre nach der ersten Verwendung des Reliefs angebracht. Durch dieses Recycling sparte man Geld für die kostspielige Anfertigung einer neuen Marmor- oder Kalksteinstele. Diese Zweckentfremdung eines Grabsteins erscheint uns heute erstaunlich pietätlos, und tatsächlich ist die Verwendung älterer Statuen zu diesem Zweck schon in der Antike nicht ohne Kritik geblieben. Trotzdem kam sie allenthalben vor.

Bilder

Das Grabrelief vom Odeonsplatz
Das Grabrelief vom Odeonsplatz Das Grabrelief mit der griechischen Inschrift des Eutaktos auf dem Sockel. Der Stein wird heute im Depot der Glyptothek aufbewahrt (Inv. NI 10025) und kann derzeit leider nicht besichtigt werden. Quelle: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München Erstellt von: D. Knop
Der Odeonsplatz, 1880/85
Der Odeonsplatz, 1880/85 Odeonsplatz und Ludwigstraße, bevor die Autos kamen. Das Schwabinger Tor, in dessen Nähe das Relief gefunden wurde, befand sich auf Höhe der Grenze zwischen Residenz und Hofgarten (rechts). Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, ZI-0996-14-00-498847
Das Antiquarium in der Residenz, 1935
Das Antiquarium in der Residenz, 1935 Herzog Albrecht V. ließ den Prachtsaal in den Jahren 1568–1571 für seine Sammlung antiker Skulpturen errichten. Seitdem wurde der Raum mehrmals umgestaltet. Der Kern der heute dort ausgestellten Skultpuren stammt aber noch aus Albrechts Sammlung. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, ZI-0920-04-01-Th052232 Erstellt von: Arthur Schlegel
Hans Muelich, Albrecht V., Herzog von Bayern als Erbprinz, 1545
Hans Muelich, Albrecht V., Herzog von Bayern als Erbprinz, 1545 Der Gründer des Antiquariums, Herzog Albrecht V. (1528–1579), war der erste bayerische Herrscher, der antike Objekte sammelte. Unter Kronprinz bzw. König Ludwig I. (1786–1868) erlebte diese Sammelleidenschaft ihren Höhepunkt. Quelle: Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Alte Pinakothek München Erstellt von: Bayerische Staatsgemäldesammlungen
Der Königsplatz, 1905
Der Königsplatz, 1905 Der größte Sammler antiker Gegenstände unter den bayerischen Herrschern war unbestritten Ludwig I. Zur Unterbringung und Ausstellung seiner geliebten Sammlung sollte ihm eine prachtvolle Platzanlage im klassizistischen Stil dienen, die in der Maxvorstadt entstand: der Königsplatz. Die beiden Museen Glyptothek (rechts) und Antikensammlungen (nicht im Bild) sowie die Toranlage der Propyläen (links) wurden im Stil griechischer Tempel erbaut und waren Meilensteine bei der Verwandlung Münchens in das „Isar-Athen“ Ludwigs I. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, ZI-0986-01-00-377395 Erstellt von: Trenkler und Co

Ort

Odeonsplatz, 80539 München | nicht zugänglich (das Relief befindet sich im Depot der Glyptothek, NI 10025)

Metadaten

Anna Enzensberger und Brigitte Haas-Gebhard, “Fundort: Odeonsplatz,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 3. Dezember 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/95.