Das Antiquariat Jacques Rosenthal
Ein „Global Player“ des Buchhandels in der Münchner Maxvorstadt
Das imposante Haus in der Brienner Straße 26 (früher 47) wurde 1911 im Auftrag des Münchner Antiquars Jacques Rosenthal (1854–1937) errichtet. Mit diesem Neubau etablierte er sein 1895 gegründetes Antiquariat gezielt im neuen Zentrum des Münchner Kunsthandels. Die Brienner Straße hatte sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zur führenden „Kunst- und Antiquariatsmeile“ entwickelt. Hier waren zahlreiche prominente Kunsthandlungen zu finden, wie die Galerie Caspari, die Kunsthandlung von Siegfried Lämmle, die Kunsthandlung von Julius Böhler, die Galerie Norbert Fischmann, die Ludwigsgalerie sowie die Kunsthandlung der Gebrüder Jordan & Co.
Besonders durch seinen umfangreichen Bestand an mittelalterlichen Handschriften und frühen Drucken hatte sich Jacques Rosenthal unter Bücherliebhabern und Kunstsammlern weltweite Bekanntheit erworben. Stolz trug er die Titel eines Preußischen und eines Bayerischen Hoflieferanten.
Sein Sohn, der promovierte Kunsthistoriker Dr. Erwin Rosenthal (1889–1981), erweiterte 1920 den geschäftlichen Radius mit der Gründung des Antiquariats L’Art Ancien in Lugano (ab 1929 in Zürich) und einer Kunstgalerie in Berlin (1920–1925).
Die nationalsozialistische Machtübernahme und die Umsetzung der antisemitischen Rassenpolitik traf die Familie Rosenthal schwer. So fiel die langgeplante Eröffnung einer hochkarätigen Ausstellung mittelalterlicher Handschriften des britischen Sammlers Chester Beatty am 1. April 1933 mit dem von den Nazis ausgerufenen „Tag des Judenboykotts“ zusammen. Der Enkel von Jacques Rosenthal, Albrecht Rosenthal, erinnerte sich, dass die Eingangstür des Geschäfts an der Brienner Straße durch SA-Wachen versperrt worden war und die Fensterläden geschlossen werden mussten. Die Besucher gelangten nur auf Schleichwegen durch den Hintereingang in die Ausstellungsräume.
Kaum zwei Jahre später im März 1935 sah sich Jacques Rosenthal letztlich genötigt, sein „stolzes“ Haus zu verkaufen. Der von ihm geplante Verkauf an die Witwen- und Waisenkasse wurde jedoch durch das Einschreiten der „Deutschen Arbeitsfront“ verhindert. Die DAF beanspruchte das Anwesen für sich und setzte sich im Juli 1935 als Käuferin durch. In unmittelbarer Nähe zum Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz war die Immobilie besonders bei den NS-Institutionen sehr begehrt. Das Antiquariat Rosenthal zog in wesentlich bescheidenere Räumlichkeiten in der Konradstraße 16. Fast zeitgleich wurde dem Sohn Dr. Erwin Rosenthal im August 1935 die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer verwehrt. Zudem wurde er aufgefordert, das Antiquariat innerhalb von vier Wochen zu schließen. Erwin Rosenthal protestierte gegen die Maßnahme und wies darauf hin, dass ein Verkauf seines Lagerbestandes von knapp 500.000 Büchern und 4.000 Drucken nicht nur den geschäftlichen Ruin für seine Firma bedeuten würde, sondern die Liquidation des Lagerbestandes auch einen Preisverfall auf dem deutschen Kunstmarkt zur Folge hätte. Auch wenn die Frist für die sofortige Liquidation vorerst ausgesetzt wurde, änderte dies nichts an der Sorge um die geschäftliche Existenz. Im Dezember 1935 zog er die Konsequenz und verkaufte das Antiquariat an den Mitarbeiter Hans Koch. Bereits im März 1936 emigrierte Erwin Rosenthal mit seiner Frau und den Kindern nach Florenz. Seine Eltern Jacques und Emma Rosenthal (1857–1941) zogen in das Hotel Regina am Maximiliansplatz, wo der Antiquar am 5. Oktober 1937 verstarb. Seiner Frau Emma Rosenthal gelang im Dezember 1939, nachdem unter größten Schwierigkeiten die hohen Summen für die „Reichsfluchtsteuer“ und die „Judenvermögensabgabe“ beglichen werden konnten, die Flucht in die Schweiz. Sie verstarb am 24. Juni 1941 in Küssnacht bei Zürich. Kurz zuvor hatten Erwin Rosenthal und seine Frau Margherita Visa für die USA erhalten.
Im Jahr 1958 sollte das Paar nach Europa zurückkehren. Sie verbrachten die Jahre bis zu ihrem Tod in Lugano. Die Antiquarsdynastie Rosenthal lebte weiter: Die Söhne Bernhard, Felix und Albrecht Rosenthal führten die Geschäfte in London, Zürich und Berkeley fort.