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Das Palais Pringsheim

Musik, Majolika und die Familie Mann

Alfred Pringsheim war nicht nur Mathematikprofessor, Kunstsammler, Musikliebhaber und Schwiegervater Thomas Manns, sondern auch eine der schillerndsten Persönlichkeiten des Münchner Bildungsbürgertums um 1900. Gemeinsam mit seiner Familie bewohnte er das prächtige Palais Pringsheim in der Arcisstraße 12. Das Haus war ein Ort des kulturellen Austauschs und Treffpunkt prominenter Zeitgenossen. Wegen des Parteiforums am Königsplatz wurde das Palais bald nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten abgerissen, und die Familie Pringsheim floh ins Exil.

Der Bewohner und Namensgeber des Palais Pringsheim, Alfred Pringsheim, wurde am 2. September 1850 in Ohlau, Oberschlesien, in eine jüdische Familie geboren. Sein Vater hatte als Besitzer von Kohlegruben und als Eisenbahnunternehmer ein beträchtliches Vermögen erworben. Der junge Alfred studierte in Berlin und Heidelberg Mathematik und habilitierte sich 1877 an der Universität München. Ab 1886 lehrte er dort als außerordentlicher, ab 1901 dann als ordentlicher Professor in den Fachbereichen „Analysis, Functionen-Theorie, Algebra und Zahlentheorie“ (Süddeutsche Zeitung, 16./17. November 2024, R 6). 1894 wurde er zudem als außerordentliches, 1898 als ordentliches Mitglied in die Königlich-Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Das von seinem Vater geerbte Millionenvermögen machte ihn zu einem der reichsten Männer Bayerns. In den 1870er Jahren lernte Alfred Pringsheim die Schauspielerin Hedwig Dohm kennen, die er 1878 heiratete. In den darauffolgenden Jahren bekam das Paar fünf Kinder, zuletzt das Zwillingspaar Klaus und Katharina (genannt Katia). Ihre Kinder ließen die Pringsheims evangelisch taufen.

Die junge Familie Pringsheim bezog bald nach seiner Fertigstellung in den Jahren 1889/90 das Palais an der Arcisstraße 12. Das nach einem Entwurf der Berliner Architekten Kayser & von Großheim errichtete Gebäude gehörte zu den modernsten in München. Es war mit einer Zentralheizung, elektrischem Licht und einem Telefon ausgestattet. Die 24 Meter breite Ziegelfassade im Stil der deutschen Neorenaissance war mit Türmchen und Erkern geschmückt, die Innenräume waren im Stil der Renaissance gehalten. Neben seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor war Alfred Pringsheim Musiker und Kunstsammler. Im Palais befand sich ein 63 Quadratmeter großes Musikzimmer mit einem 21 Meter langen Wandfries des Malers Hans Thoma, in dem Konzerte mit bis zu 150 Gästen stattfanden. Daneben lag eine Bibliothek, in der ein Porträt Hedwig Pringsheims, gemalt von Franz von Lenbach, die Wand zierte.

Neben Gemälden seiner Zeitgenossen, darunter Franz von Lenbach und Friedrich August von Kaulbach, welche die Frauen der Familie porträtiert hatten, sammelte Alfred Pringsheim auch Kunstgegenstände der Renaissance. Dazu zählten Silberobjekte aus Deutschland und den Niederlanden, italienische Bronzeskulpturen sowie Majoliken.

Zu den Gästen, die das Palais Pringsheim besuchten, um die Sammlung zu besichtigen, gehörten Prinz Rupprecht von Bayern und Henry Ford. Pringsheim verlieh Werke aus seiner Sammlung für Ausstellungen und war Mitglied der Ankaufkommission des Bayerischen Nationalmuseums. Im Palais waren zahlreiche bekannte Persönlichkeiten der Prinzregentenzeit zu Gast: Richard Strauss, Fritz August Kaulbach, Franz von Lenbach, Franz von Stuck, Paul Heyse, Hugo von Hofmannsthal, Gustav Mahler und auch Thomas Mann. Der Schriftsteller kannte Katia Pringsheim bereits aus den Konzerten im Kaimsaal, die sie gemeinsam mit ihren Brüdern besuchte. Eine erste persönliche Begegnung der beiden fand 1904 im Salon von Max und Elsa Bernstein statt. Das Paar heiratete am 11. Februar 1905, obwohl Alfred Pringsheim den Schriftstellerberuf als wenig seriös und Thomas Mann so für den gesellschaftlichen Stand der Tochter nicht angemessen hielt.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging Thomas Mann, ein entschiedener Gegner und öffentlicher Kritiker des NS-Regimes, im März 1933 gemeinsam mit Katia in die Schweiz ins Exil, während die Pringsheims zunächst in München blieben. Da Alfred Pringsheims Eltern jüdisch gewesen waren und auch Hedwigs Familie vom jüdischen zum evangelischen Glauben konvertiert war, wurde auf Alfred Pringsheim seit Januar 1933 Druck durch die NSDAP ausgeübt. Man forderte ihn auf, sein Haus zu verkaufen, andernfalls würde er enteignet. Hintergrund war neben der systematischen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung auch das Vorhaben der Partei, auf dem Grundstück des Palais Pringsheim den Verwaltungsbau der NSDAP zu errichten.

Der 83-jährige Alfred Pringsheim verkaufte das Palais unter diesem Druck noch 1933 weit unter Wert und zog gemeinsam mit Hedwig in eine acht Zimmer umfassende Wohnung am Maximiliansplatz. Nachdem auch dieses Haus von der NSDAP gekauft wurde, mussten sie erneut umziehen, diesmal in eine kleinere Wohnung in der Widenmayerstraße. Das Palais wurde noch im November 1933 abgerissen.

In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden die Kunstschätze aus der Sammlung Alfred Pringsheims beschlagnahmt. Viele dieser Werke befinden sich heute in Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt.

1939 kaufte die NSDAP auch das Haus in der Widenmayerstraße. Ende Oktober desselben Jahres emigrierten die Pringsheims schließlich in die Schweiz. Alfred Pringsheim starb dort am 25. Juni 1941, ein Jahr später folgte ihm seine Frau.

Bilder

Das Palais Pringsheim, 1894
Das Palais Pringsheim, 1894 Die Villa der Pringsheims galt damals als eines der modernsten Häuser in München. Quelle: Wilhelm Kick (Hg.): Moderne Neubauten aus Süd und Mitteldeutschland, Stuttgart 1894, Taf. 81.
Alfred Pringsheim, 1930
Alfred Pringsheim, 1930 Alfred Pringsheim wurde am 2. September 1850 in Ohlau, Oberschlesien geboren. Er habilitierte sich 1877 und war ab 1901 ordentlicher Professor der Mathematik an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Quelle: Lorenz Seelig: The art collection of Alfred Pringsheim (1850–1941), in: Journal of the History of Collections, Januar 2016, S. 162, Abb. 1.
Hedwig Pringsheim mit ihren Kindern im Garten der Arcisstraße 12, um 1891
Hedwig Pringsheim mit ihren Kindern im Garten der Arcisstraße 12, um 1891 Hedwig Pringsheim, geborene Dohm, war die Tochter des Chefredakteurs der Satirezeitschrift Kladderadatsch, Ernst Dohm (1819–1883) und der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm-Schleh (geborene Schlesinger; 1831–1919). Quelle: Emily D. Bilski: „Nichts als Kultur“ – Die Pringsheims, Ausst.-Kat. München, München 2007, S. 17.
Palais Pringsheim, Grundriss des Erdgeschosses
Palais Pringsheim, Grundriss des Erdgeschosses Im Erdgeschoss des Hauses befanden sich das Musikzimmer und die Bibliothek. Quelle: Dirk Heißerer: Die wiedergefundene Pracht. Franz von Lenbach, die Familie Pringsheim und Thomas Mann, Göttingen 2009, S. 12.
Palais Pringsheim, Musiksaal
Palais Pringsheim, Musiksaal Im Musiksaal fanden Konzerte mit bis zu 150 Gästen statt. Quelle: Aus: Emily D. Bilski: „Nichts als Kultur“ – Die Pringsheims, Ausst.-Kat. München, München 2007, S. 21.
Hans Thoma: Wandfries aus dem Musiksaal des Hauses Pringsheim in München, 1890–1891
Hans Thoma: Wandfries aus dem Musiksaal des Hauses Pringsheim in München, 1890–1891 Öl auf Leinwand, heute Staatsgalerie Stuttgart. Die Wände im Musiksaal zierte ein monumentaler Fries von Hans Thoma. Die Nordwand zeigte einen Ausblick in eine Pergola, in der junge Frauen und Männer zu sehen sind – teils in antik anmutender Kleidung, teils in idealisierter Nacktheit –, die gemeinsam ein Fest vorbereiten. Quelle: Emily D. Bilski: „Nichts als Kultur“ – Die Pringsheims, Ausst.-Kat.München, München 2007, S. 46.
Palais Pringsheim, Erker der Bibliothek im Erdgeschoss
Palais Pringsheim, Erker der Bibliothek im Erdgeschoss Künstler wie Franz von Lenbach, der 1890 das in der Aufnahme an der rechten Wand zu sehende Porträt von Hedwig Pringsheim schuf, gehörten zu den häufigen Gästen im Haus der Pringsheims. Quelle: Lorenz Seelig: The art collection of Alfred Pringsheim (1850–1941), in: Journal of the History of Collections, Januar 2016, S. 166, Abb. 8.
Franz von Lenbach, Porträt Hedwig Pringsheims, 1890
Franz von Lenbach, Porträt Hedwig Pringsheims, 1890 Pastell auf Karton. Heute befindet sich das Porträt im Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich. Quelle: Emily D. Bilski: „Nichts als Kultur“ – Die Pringsheims, Ausst.-Kat. München, München 2007, S. 44.
Palais Pringsheim, Nordseite des Esszimmers, um 1900
Palais Pringsheim, Nordseite des Esszimmers, um 1900 Alfred Pringsheim sammelte Silberobjekte aus Deutschland und den Niederlanden, die er in seinem Esszimmer ausstellte. Quelle: Lorenz Seelig: The art collection of Alfred Pringsheim (1850–1941), in: Journal of the History of Collections, Januar 2016, S. 164, Abb. 5.
Palais Pringsheim, Südseite des Esszimmers mit geöffneten Silberschränken, um 1900
Palais Pringsheim, Südseite des Esszimmers mit geöffneten Silberschränken, um 1900 In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden die Kunstschätze aus der Sammlung Alfred Pringsheims beschlagnahmt. Heute sind die Werke in Sammlungen auf der ganzen Welt verstreut. Quelle: Lorenz Seelig: The art collection of Alfred Pringsheim (1850–1941), in: Journal of the History of Collections, Januar 2016, S. 165, Abb. 6.

Ort

Arcisstraße 12, 80333 München | nicht erhalten

Metadaten

MunichArtToGo, “Das Palais Pringsheim,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 15. August 2025, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/268.