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Das Ruffinihaus

Typisch Minga! Tradition, Volkskunst und Heimatverbundenheit inmitten der Münchner Innenstadt

In den Jahren 1903 bis 1905 errichtete der bekannte Münchner Architekt Gabriel von Seidl (1848–1913) das Ruffinihaus am Rindermarkt 10 im sogenannten „Heimatstil“. Die eigentlich aus drei Bauwerken bestehende Wohn- und Geschäftsgruppe markiert den Übergang vom ältesten Stadtkern zur Stadterweiterung des 13. Jahrhunderts.

Im Jahr 1903 schrieb die Stadt München einen Wettbewerb aus: An der Stelle, an der einst eines der fünf Stadttore der gegen Ende des 12. Jahrhunderts erbauten ersten Stadtmauer Münchens stand, sollte ein neues Gebäude errichtet werden, das sich harmonisch in das heimische Stadtbild einfügt. Gabriel von Seidl überzeugte mit seiner Idee der drei Häuserindividuen, die sich zu einem Gesamtwerk vereinen sollten, und im selben Jahr konnte mit dem Bau begonnen werden. Noch heute beherbergen die sich um einen kleinen Innenhof windenden, vierstöckigen Häuserblöcke im Erdgeschoss traditionsreiche Einkaufsläden. Die Stockwerke darüber werden als Wohnungen genutzt.

Gabriel von Seidl prägte mit seinen Bauwerken maßgeblich das Münchner Stadtbild. Er baute in verschiedenen Stilrichtungen, darunter der deutschen Renaissance, wie zum Beispiel an der Architektur des Bayerischen Nationalmuseums zu erkennen ist, der Romanik, die sich unter anderem im Erscheinungsbild der Kirche St. Anna im Lehel wiederfindet, oder auch der italienischen Renaissance, die beispielsweise durch die Villa Lenbach repräsentiert wird. Eine Besonderheit stellt jedoch das Ruffinihaus dar, anhand dessen der sogenannte „Heimatstil“ zum Ausdruck gebracht wird.

Schon damals spielten Naturschutz und Heimatverbundenheit für von Seidl eine wichtige Rolle. Die fortschreitende Industrialisierung löste um die Jahrhundertwende die Furcht vor Umweltzerstörung und den damit einhergehenden, unvorhersehbaren sozialen Folgen für die Bevölkerung aus. Die verunsicherten Bürger sehnten sich nach früheren Zeiten, in denen der Mensch noch im Einklang mit der Natur gelebt zu haben schien. Bereits 1902 gründete von Seidl deshalb den „Verein zur Erhaltung der landschaftlichen Schönheiten in der Umgebung Münchens, besonders des Isartals“ (kurz: „Isartalverein“), der großen Zulauf erhielt. Auch in Kunst und Architektur spiegelte sich diese Rückbesinnung auf vorindustrielle Tradition und Volkstum wider.

Dies zeigt sich auch in der Verspieltheit von Farbe und Struktur der Ruffinihäuser. Putzfassade und Stuckaturen erinnern nicht nur an den malerischen Baustil Altmünchner Landhäuser; die einzelnen Elemente nehmen zudem Bezug auf die bayerische Kultur und Geschichte und erheben den Gebäudeblock damit zu einer „romantisch-heimatliche[n] Stimmungsarchitektur höchsten Niveaus“ (zit. nach Habel u. a. 2009, S. 943). Die Hauswand ist bedeckt mit floralen Motiven oder symbolträchtigen Darstellungen, wie etwa der Patrona Bavariae, der Beschützerin Bayerns, oder des Münchner Kindls, dem Wahrzeichen der bayerischen Hauptstadt. Auch die Geschichte des mittelalterlichen und namenstiftenden Ruffiniturms ist in die Fassade integriert.

Nachdem das Ruffinihaus von 2018 bis 2020 umfassend saniert wurde, erstrahlt es heute wieder in voller Farbenpracht.

Bilder

Von Seidls Wettbewerbsentwurf, Ansicht von der Rosengasse aus, um 1903
Von Seidls Wettbewerbsentwurf, Ansicht von der Rosengasse aus, um 1903 Mit seinem Entwurf für den „Wettbewerb zur Erlangung von Bauplänen für die Bebauung des Ruffini-Areals“ überzeugte Gabriel von Seidl die Stadt München. Im Herbst 1903 wurden die Bauarbeiten begonnen und konnten bereits im Frühjahr 1905 abgeschlossen werden. Quelle: Süddeutsche Bauzeitung, 21.11.1903, S. 369
Von Seidls Wettbewerbsentwurf, Ansicht von der Sendliger Straße (links) und der Pettenbeckstraße (rechts) aus, um 1903
Von Seidls Wettbewerbsentwurf, Ansicht von der Sendliger Straße (links) und der Pettenbeckstraße (rechts) aus, um 1903 Quelle: Süddeutsche Bauzeitung, 21.11.1903, S. 370–371
Lageplan der Ruffinihäuser im Maßstab 1:1000, um 1903
Lageplan der Ruffinihäuser im Maßstab 1:1000, um 1903 „Drei Häuser“: Gabriel von Seidls Motto für seinen Entwurf ist auf dem Lageplan gut zu erkennen. Quelle: Süddeutsche Bauzeitung, 21.11.1903, S. 370
Grundrisse des Unter- und Obergeschosses sowie des 1. Stocks, um 1903
Grundrisse des Unter- und Obergeschosses sowie des 1. Stocks, um 1903 Während im Untergeschoss 21 kleine Läden geplant waren, sollten die oberen Stockwerke für Wohnungen und Büros genutzt werden. Diese Aufteilung besteht bis heute. Quelle: Süddeutsche Bauzeitung, 21.11.1903, S. 371–372
Von Seidls Wettbewerbsentwurf, Blick in den Innenhof, um 1903
Von Seidls Wettbewerbsentwurf, Blick in den Innenhof, um 1903 Das Wettbewerbskomitee beschrieb den Innenhofentwurf ursprünglich als „[e]twas knapp bemessen […] mit seinen eng auslaufenden Zwickeln und […] Treppenhäusern“. Er bleibt bis heute den Bewohnern des Hauses vorbehalten und ist nicht zu besichtigen. Quelle: Süddeutsche Bauzeitung, 21.11.1903, S. 373
Ruffinihaus, Nordfront, um 1910 (links) – Detail der Nordfront, um 1910 (rechts)
Ruffinihaus, Nordfront, um 1910 (links) – Detail der Nordfront, um 1910 (rechts) Die ursprüngliche Wappenfigur Münchens ist ein Mönch in schwarzer Kutte mit goldenen Rändern. Seit dem 16. Jahrhundert wurde diese Darstellung jedoch mehrfach reproduziert, abgeändert und schließlich verkindlicht, so dass sich heute die Bezeichnung „Münchner Kindl“ etabliert hat. Auch an der Nordfront der Ruffinihäuser ist das Wahrzeichen der Stadt zu sehen: An der höchsten Stelle der Fassade überblickt das „Münchner Kindl“ das wilde Treiben der Innenstadt. Auf Höhe des zweiten Stockwerks ist in einer Nische die Beschützerin der Stadt zu sehen. Die „Patrona Bavariae“ wird flankiert von den Allegorien der Zeit und der Tugend. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, Th055143 / © Bildarchiv Foto Marburg (links) – Th055142 / © Bildarchiv Foto Marburg (rechts) Erstellt von: links und rechts: Carl Teufel, Benno Filser
Aquarell von Ludwig Huber, 1884 (links) – Ausschnitt der Front an der Pettenbeckstraße, ohne Datum (rechts)
Aquarell von Ludwig Huber, 1884 (links) – Ausschnitt der Front an der Pettenbeckstraße, ohne Datum (rechts) Der Turm des mittelalterlichen Stadttores, an dessen Stelle sich heute das Ruffinihaus befindet, trug im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Namen. Ursprünglich wurde er als „Blauententurm“ (Zeichnung links) erbaut. Schließlich jedoch prägten die Besitzer die weit verbreiteten Bezeichnungen „Püttrich-“ bzw. „Ruffiniturm“. Im Jahr 1808 wurde der Turm im Rahmen der Straßenverbreiterung abgebrochen. Eine Darstellung des ehemaligen Stadttorturms an der Front der Pettenbeckstraße erinnert jedoch noch heute an die stadtgeschichtliche Bedeutung des Standorts. Auch sein früherer Name lebt bis heute in den Ruffinihäusern weiter. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 194405 (links) – Hans Bössl: Gabriel von Seidl, Oberbayerisches Archiv 88 (1966) (rechts)
Ruffinihaus, Front an der Sendlinger Straße, 1971
Ruffinihaus, Front an der Sendlinger Straße, 1971 Die sechs Nischen an der Nord-Ost-Seite des Ruffinihauses beherbergen Flachreliefs des „Bürgers“, der „Hausfrau“, des „Künstlers“, der „Jungfrau“, des „Gelehrten“ und der „Bäuerin“. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 190920-1 Erstellt von: Siegfried von Quast
Ansicht des Ruffinihauses von Nordosten, um 1910
Ansicht des Ruffinihauses von Nordosten, um 1910 Ein Rundgang lohnt sich! Man sollte sich einen Augenblick Zeit nehmen, um das Ruffinihaus von allen Seiten genauer zu betrachten. Die streng gegliederte Architektur des Bauwerks wird stets durch organische und detailverliebte Elemente unterbrochen. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man eine märchenhafte Welt voller Elfen, Faune, Kobolde, Tiere und Nymphen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, Th055144 / © Bildarchiv Foto Marburg Erstellt von: Carl Teufel, Benno Filser

Ort

Sendlinger Str. 1, 80331 München

Metadaten

Anna-Lena Lang, “Das Ruffinihaus,” MunichArtToGo, accessed 24. April 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/71.