Die keltischen Viereckschanzen – vom Heiligtum mit blutigen Opfern zum Gutshof reicher Grundbesitzer.
Östlich der Isar, ein ganzes Stück außerhalb der Münchner Innenstadt, liegt im Stadtteil Perlach der Neue Südfriedhof direkt neben der A8. Hier erstreckt sich eine grüne Oase, an deren südlichem Rand die Überreste einer keltischen Viereckschanze zu finden sind. Ihr quadratischer, circa 100 x 100 Meter großer Grundriss ist durch Laubbäume gut erkennbar, die in Reihen das Denkmal kennzeichnen.
Solche Befestigungen – der moderne Name ‚Schanze‘ trifft es gut – mit 80 bis 150 Metern Seitenlänge, bestanden aus einem mehrere Meter hohen Erdwall mit einer darauf errichteten Holzpalisade und einem vorgelagerten Graben von 2 bis 3 Metern Tiefe sowie 4 bis 8 Metern Breite. Die Spuren dieser massiven Wehranlagen finden sich wie in Perlach mitunter noch obertägig erhalten und gaben Anlass zu vielerlei Spekulationen über ihre Funktion und Zeitstellung. Ausgrabungen zeigten schließlich, dass sie in der Jüngeren Eisenzeit oder sogenannten Latènezeit (ca. 250–50 v. Chr.) errichtet wurden, die man heute generell mit den Kelten gleichsetzt.
Die Form und Struktur dieser sogenannten ‚Viereckschanzen‘, die sich im gesamten süddeutschen Raum finden, folgt einem gleichartigen Schema. Der Aushub des Grabens wurde für die Aufschüttung des Erdwalls genutzt; da durch das Aufeinandertreffen der Gräben an den Ecken mehr Erde anfiel, waren diese überhöht. Der einzige Eingang in das Innere der Schanze führte im Westen, Süden oder Osten – niemals jedoch auf der Nordseite! – durch den Wall hindurch. Das Tabu der Nordseite geht wohl auf kosmologische Vorstellungen zurück, die die Struktur einer Siedlung bestimmten; in Perlach wird der Zugang im Osten vermutet.
Um in das Innere der Wallanlage zu gelangen, musste man den breiten Graben auf einer Holzbrücke überqueren. Sie führte direkt zu einem massiv gebauten Torhaus enormer Größe. Im Inneren fiel der Blick auf ein oft 20 x 10 Meter großes Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite eines offenen, meist unbebauten Platzes. Entlang der Seiten reihten sich etwas kleinere, 8 bis 9 Meter lange Gebäude. In ihnen lagerten Vorräte wie Getreide, Hülsenfrüchte oder geräuchertes Fleisch, wurden Tiere in Ställen gehalten oder Ackergerät und Werkzeuge in Scheunen aufbewahrt. Zwischen den Gebäuden, oft in einer der Wallecken, reichten Schächte bis zu 35 Meter tief in die Erde. Diese Schächte gaben den Archäologen lange Rätsel auf, da man in der in den 1950er Jahren ausgegrabenen Viereckschanze von Holzhausen Holzpfähle und eine Erdverfüllung mit hohem Phosphatgehalt entdeckte. Waren die Pfähle etwa Opferpfähle? Rührte der Phosphatgehalt vom Blut kultischer Opferpraktiken her? Diesen Indizien folgte die Interpretation des großen Zentralgebäudes oder randlicher Bauten als Tempel. Mit ihnen traten die Viereckschanzen vermeintlich als heilige Orte der Kelten hervor, an denen sie ihren Göttern blutige Opfer darbrachten.
Erst durch neuere Ausgrabungen konnte diese bislang als allgemeingültig angenommene Interpretation revidiert werden. Die ‚Opferpfähle‘ stellten sich als Teile einer zerstörten Hebevorrichtung eines Stangenbrunnens heraus. Das Phosphat stammte von Tiermist, den man nach Aufgabe des Brunnens dort entsorgt hatte – ob in böswilliger Absicht oder als reiner ‚Abfallschacht‘ ist jedoch nach wie vor unklar. Obwohl die Anlagen keine reinen Kultzentren waren, bildeten sie dennoch den Mittelpunkt einer Siedlungsgemeinschaft. Es ist naheliegend, dass an solchen Zentren oder Residenzen reicher Großgrundbesitzer auch Kultplätze existierten. Als Versammlungsort und Marktplatz der ländlichen Bevölkerung dienten sie sicher auch gemeinsamen kultischen Feiern und religiösen Zeremonien. Mit den stark befestigten ‚Herrensitzen‘ wollte die lokale Elite ihren Herrschaftsanspruch und ihre Macht demonstrieren. Dass es dabei bisweilen zu Konflikten kam, illustrieren die Spuren von Feuerkatastrophen, die die Viereckschanzen in Mitleidenschaft zogen.
Wie das Ende der Viereckschanze von Perlach aussah, ist nicht bekannt. Ihre Wälle wurden im Laufe der Zeit durch Pflügen und die Flurbereinigung von 1956 immer weiter eingeebnet, so dass sie heute kaum mehr zu erkennen sind. Der Graben ist nur noch an der Westseite zu erahnen. Obwohl man wenig über dieses Denkmal weiß, zeugt es auch nach über 2000 Jahren von einer Gemeinschaft, die durch den gemeinsamen Bau einer gewaltigen Anlage den Gefahren ihrer Zeit zu trotzen wusste.