Das Wittelsbacher Palais
Residenz, Regierungssitz, Gefängnis: die 100-jährige Existenz eines neugotischen Gebäudes in der Münchner Innenstadt
Friedrich von Gärtners nicht mehr erhaltenes rotes Backstein-Palais stand in den Jahren 1848–1944 mit vielen historisch wichtigen Ereignissen in Verbindung, die sich in München abspielten.
Das Wittelsbacher Palais entstand 1843–1849 auf einem Grundstück an der Brienner Straße Ecke Türkenstraße. Es war von Ludwig I. für seinen Sohn, den frischvermählten Kronprinzen Maximilian, vorgesehen. Das Gebäude schien von Anfang an ein Unglückskind zu sein. So war das Grundstück nicht die erste Wahl des Kronprinzen, der lieber vom Ort des heutigen Finanzgartens an der Von-der-Tann-Straße aus auf den Englischen Garten blicken wollte. Anschließend stellte sich das Problem des Entwurfes. Sowohl König Ludwig I. als auch der beauftragte Architekt Friedrich von Gärtner (1791–1847) waren vom Stil der „englischen Gotik“, den der Kronprinz bevorzugte, alles andere als angetan. Als Gärtner vier Jahre nach Baubeginn starb, übernahm Karl Friedrich Klumpp (1776–1852) – ein ehemaliger Schüler und Assistent Gärtners – die Baustelle. Doch die eine Million Gulden, die für den Ankauf des Grundstücks, den Bau und die Inneneinrichtung des Palais zur Verfügung gestellt wurden, gingen bald zur Neige. Leo von Klenze (1784–1864), der mit der Inneneinrichtung beauftragt wurde, schrieb 1849 an den nun amtierenden Maximilian II. „[...] dass zu der bewilligten Million noch mehrere hunderttausend Gulden durch Nachbewilligung kommen würden und als man sich später überzeugte, dass dies nicht geschehen würde, musste die Solidität der Konstruktion es büßen“ (zit. nach: Hederer 1976, S. 164). Die Solidität der Konstruktion war nicht das Einzige, das unter den schwindenden Finanzen des Projekts litt. Das geplante vierte Stockwerk wurde gar nicht erst gebaut, die Steintreppe im Eingangsbereich durch Holz ersetzt und die gesamte Inneneinrichtung äußerst spärlich gehalten. Als Höhepunkt dieser unglücklichen Baugeschichte kam hinzu, dass Maximilian II. das von ihm so gewollte und geliebte Palais niemals selbst bewohnte: 1848 wurde er zum König ernannt und an seiner statt nutzte der abgedankte Ludwig I. das Palais bis 1868 als Alterssitz. Im Anschluss wurde es von verschiedenen Mitgliedern der Familie Wittelsbach bis 1918 als Wohnpalast genutzt.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Monarchie 1918/1919 tagte hier der Aktionsausschuss der Münchner Räterepublik. Im Rahmen der vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen verlor das vormalige bayerische Königshaus das Wittelsbacher Palais 1923 an den Freistaat Bayern. In den darauffolgenden Jahren wurde das Gebäude unter anderem von der Universität München genutzt.
1934 errichtete die Bayerische Politische Polizei (später Gestapo) im Palais ihr Hauptquartier und ließ im Innenhof ein Gefängnis bauen. Im „Dritten Reich“ wurden hier Menschen interniert, verhört und gefoltert und auch die ersten Deportationslisten für den Holocaust geschrieben. Im Rahmen von Überlegungen, die Bebauung des Geländes den Vorstellungen der NS-Architekturästhetik anzugleichen, wurde Hitlers Vertrauensarchitekt für die Umgestaltung Münchens, Hermann Giesler (1898–1987), mit dem Entwurf eines Mausoleums für den Diktator beauftragt.
Bei einem Luftangriff im April 1944 wurde das Wittelsbacher Palais schwer beschädigt und die Inneneinrichtung komplett zerstört. Die Ruine wurde 1950 gesprengt und abgetragen, das von der Gestapo errichtete Gefängnis allerdings erst Mitte der 1960er Jahre. Ein Wiederaufbau des Wittelsbacher Palais wurde offenbar zu keinem Zeitpunkt erwogen.