Das Grützner-Haus
Modernes Leben im Mantel der Vergangenheit
Das Wohnhaus des Genremalers Eduard von Grützner (1846–1925), ein historistischer Bau im Stil der deutschen Renaissance, wurde 1883–1884 nach Plänen des Architekten Leonhard Romeis in der Nähe des Maximilianeums erbaut. Der Maler hatte das Grundstück am ehemaligen „Praterbergl“ 1883 erworben. Das Aussehen des Hauses wurde maßgeblich durch die antiquarische Inneneinrichtung bestimmt, die Grützner u.a. auf seinen Studienreisen erworben hatte. Die Grützner-Villa war zugleich Wohnung, Atelier, Sammlung und Salon.
Das zweigeschossige Gebäude mit einer dreiachsigen Fensteranordnung ist durch einzelne Fachwerkverblendungen gekennzeichnet, beispielsweise am polygonalen Ecktürmchen, das vom ersten Stock bis ins Dach ragt. Geschmückt wird es im zweiten Stock außerdem durch Butzenscheiben. Ein zweiter großer Turm tritt auf der Südseite aus der Fassade hervor. Das Wohnhaus kann durch ein separates Treppenhausgebäude betreten werden.
Grundriss, Aufriss und Raumdisposition war auf die Inneneinrichtung abgestimmt, welche durch Grützners Antiquitätensammlung geprägt wurde. Beispielsweise wurde das Ecktürmchen angebaut, da ein Teil der Wandvertäfelung des angrenzenden Wohnzimmers, die Teil von Grützners Sammlung war, ebenfalls über einen Erker verfügte.
Der Künstler sammelte zunächst vor allem kunstgewerbliche Stücke aus der Spätgotik und Frührenaissance. Die Sammlung wuchs später um Asiatika. Auf seinen Reisen nach Tirol kaufte er die Stücke, die er auf den Dachböden alter Klöster und Bauernhäuser fand, ihren Besitzern ab.
Das Wohnhaus steht exemplarisch für eine Gruppe von Romeis‘ frühen Bauten. Diese errichtete er für Personen, die wie Grützner ihre Sammlungen von Kunsthandwerk so in das Haus integrieren wollten, dass sie nicht nur als Ausstellungsstücke betrachtet, sondern konkret im Alltag ge- bzw. benutzt werden konnten. Die häufige Veröffentlichung von Abbildungen des Grützner-Hauses in zeitgenössischen Publikationen trug zu Romeis‘ Bekanntheit bei.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin wechselten in historistischer Manier „italienische Renaissance, deutsche Renaissance, Barock, Rokoko, Zopf- und Empirestil als ‚Neuestes‘ in der Gunst der Künstler und des Publikums“ (Streiter 1901, S. 1) ab, wie der Architekt und Kunstphilosoph Richard Streiter 1898 im Vorwort der „Münchener Bürgerlichen Baukunst“ bemerkt. Zu Beginn der 1880er Jahre erfreute sich der Stil der deutschen Renaissance einer hohen Nachfrage. Grützner war insofern Teil einer breiten Bewegung.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konnten sich nur etwa 10-12% der Münchner Künstler ein eigenes Haus leisten. Damit gehörte Grützner also zu einer privilegierten Gruppe innerhalb seines Berufsstands. Der aus Schlesien stammende Grützner kam aus einer einfachen Bauernfamilie. Da der Ortspfarrer sich früh um die Förderung seines künstlerischen Talentes bemühte, war es ihm möglich, die Münchner Akademie der Bildenden Künste zu besuchen. Recht schnell avancierte er zu einem erfolgreichen Genremaler (neben Defregger und Spitzweg). Bekanntheit erlangte er vor allem durch seine zahlreichen Bilder von Klosterbrüdern und Dorfpfarrern, die sich dem Genuss alkoholischer Getränke hingeben.
Grützners Haus barg nicht nur eine reiche Sammlung an Kunstschätzen, sondern war auch Ort für Festlichkeiten. Bekannt ist, dass er nicht nur der bildenden Kunst, sondern auch der Musik zugetan war. „Er ist selbst kein Musikus, aber in seinem Hause bekommt man so manches feine Stücklein Musik zu hören und die ersten Kräfte der bayrischen Musenstadt haben bei ihm in ungezwungenem Kreise schon gesungen und gespielt“, schreibt Heinrich Rottenburg 1898 in „Die Kunst unserer Zeit“ (Rottenburg 1898, S. 38).