Fans der „Löwen“, wie der TSV 1860 München auch genannt wird, fiebern auf unvergleichliche Weise mit Leidenschaft und Leidensfähigkeit bei den Fußballspielen ihrer Mannschaft mit. Ein trockenes Aktenstudium zeigt: Ihr Heimstadion an der Grünwalder Straße steht auf einem geschichtsträchtigen Boden.
Der Vermerk in den Inventarblättern der Archäologischen Staatssammlung wirkt auf den ersten Blick recht unspektakulär. Die Rede ist lediglich von einer „grauen Gefäßwandscherbe aus glimmerhaltigem Ton“. Auch die Fundumstände scheinen nicht wirklich sensationell: Die Scherbe wurde anlässlich der „Nachschau an der Fundstelle eines beigabenlosen Grabes Ecke Harlachinger- und Volckmerstraße“ im Jahre 1955 aufgelesen, wie es in trockener Fachsprache heißt. Vertieft man sich in die alten Akten, zeigt sich, dass 1955 bei Erdarbeiten dort zufällig ein ganzes Grab entdeckt worden war. Das Skelett lag in Rückenlage in einer Erdgrube, die gestreckten Arme seitlich anliegend mit dem Kopf im Westen, alles typisch für die Zeit des 5. – 8. Jahrhunderts n. Chr. Auch die Scherbe kann diesem Zeitraum zugeordnet werden, so dass schnell klar wird: Bei dem Grab muss es sich um das eines Baiuvaren oder einer Baiuvarin handeln. Der Fundort wird in einer alten Notiz genauer beschrieben, nämlich als „Südwestecke des Sportplatzes an der Grünwalder Straße“.
Wer aufmerksam liest, ahnt es schon: Bei diesem „Sportplatz“ handelt es sich um das legendäre Fußballstadion an der Grünwalder Straße. In München wird es das Grünwalder Stadion oder einfach das Sechzger-Stadion genannt, auch wenn es gar nicht in Grünwald liegt, und dort durchaus auch andere Fußballvereine ihre Spiele bestreiten. Der Fundort, die Südwestecke, gehört heute allerdings zur legendären Löwen-Westkurve, in der sich die eingefleischten Fans des TSV 1860 sammeln. 1955 gab es dort tatsächlich Baumaßnahmen zur Errichtung einer Beleuchtungsanlage für sogenannte „Nachtspiele“, die Vorläufer der heute genutzten Flutlichtanlagen. In Zusammenhang mit diesen Arbeiten war offenbar ein Grab entdeckt und gemeldet worden. Nachuntersuchungen hatten dann immerhin eine Scherbe gerettet, weitere Beigaben wurden nicht gefunden.
Das ist recht ungewöhnlich, denn eigentlich waren die Gräber von Baiuvar:innen mit zahlreichen Beigaben ausgestattet. Genau genommen mit all dem, was man für ein Leben nach dem Tod für notwendig hielt. Die Frauen bekamen ihren Schmuck mit ins Grab, die Männer ihre Waffen. Beiden stellte man auch ab und zu ein Gefäß aus Holz oder Ton mit ins Grab, in dem sich eine „Brotzeit“ für den Weg ins Jenseits befunden haben könnte. Von eben solch einem Behältnis stammt die unscheinbare graue Tonscherbe! Einzelgräber gab es bei den Baiuvar:innen aber eigentlich nicht, man bestattete auf Friedhöfen, die unseren heutigen schon relativ ähnlich waren. Diese Friedhöfe waren recht groß und konnten über 1000 Gräber umfassen. Aus dem Münchner Stadtgebiet kennen wir zahlreiche solche Friedhöfe, zum Beispiel in Aubing, Feldmoching, Sendling, Untermenzing oder auch in Obergiesing, im Bereich der heutigen Icho-Schule. Weitere Skelettfunde direkt im Umfeld des Sechzger-Stadions sind aber nicht entdeckt worden. Vermutlich wurden sie vor langer Zeit bei Bauarbeiten (unbemerkt) zerstört. Leider wurde auch das 1955 geborgene Skelett nicht verwahrt. So bleibt von der baiuvarischen Vergangenheit des Sechzger-Stadions am Ende nur eine kleine Scherbe.