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Das Anwesen Holbeinstraße 9–11

Der ehemalige Sitz der Landesversicherungsanstalt von Oberbayern

Das Anwesen in barockisierenden Formen mit Risaliten, Zwerchgiebeln, Dachreitern und plastischem Dekor an beiden steinernen Portalvorbauten, wurde von 1903 bis 1905 von den Architekten Heilmann & Littmann für die Landesversicherungsanstalt (LVA) erbaut. Der östliche Erweiterungsbau entstand Anfang der 1950er Jahre. Der Bildhauer Julius Seidler (1867–1936) schuf den Fassadenschmuck am Hauptportal. Er war seit 1892 als Bildhauer überwiegend in München tätig, wo er bis zu seinem Tod lebte. Julius Seidler, der mit dem Architekten Gabriel Seidl, den Firmen Eugen Hönig & Karl Söldner und mit Heilmann & Littmann zusammenarbeitete, schuf unter anderem den Fassadenschmuck am Ruffiniblock (Rosental/Sendlinger Straße), Hirmer (Kaufingerstraße 28), Dallmayr (Dienerstraße 14/15) und dem ehemaligen Warenhaus Tietz (später Hertie) am Hauptbahnhof.

Das Gebäude der LVA war seit der Beschlagnahmung durch die Amerikaner von Mai bis November 1945 Sitz des für ganz Bayern zuständigen Regional Military Government. Im Oktober 1945 zog das „Staatskommissariat für die Betreuung der Juden in Bayern“ ein. Unter Staatskommissar Hermann Aumer sollte eine Wiedergutmachung des an den Juden begangenen Unrechts organisiert werden. Erweitert im September 1946 durch das „Staatskommissariat für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“, kümmerte sich nun Philipp Auerbach um die Wiedergutmachung, Wohnungsbeschaffung, Treuhänderschaft über „arisiertes“ Eigentum und Unterbringung von heimatlosen KZ-Überlebenden. Die Behörde unterstand dem bayerischen Innenministerium. Im selben Gebäude waren außerdem das „Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen“ sowie das Staatsministerium der Justiz untergebracht.

Der KZ-Überlebende Philipp Auerbach (1906–1952) war nicht nur als Staatskommissar tätig, sondern auch Gründungsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Mitglied des ersten Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsident des Bayerischen Landesentschädigungsamtes. Im März 1951 wurde er festgenommen, da man ihm Veruntreuung von 13 Millionen Reichsmark Wiedergutmachungsgeldern, 111-fache Urkundenfälschung, Annahme von Bestechungsgeldern und Erpressung vorwarf. Das Gericht verurteilte ihn nach einem aufsehenerregenden, antisemitisch aufgeladenen Prozess am 14. August 1952 zu zweieinhalb Jahren Haft und 2700 DM Geldstrafe. Philipp Auerbach nahm sich daraufhin das Leben. Durch einen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags wurde er 1954 posthum rehabilitiert.

In den 1970er Jahren übersiedelte die LVA an die Thomas-Dehler-Straße 3 in Neuperlach. Das Gebäude Holbeinstraße 9 wurde bis zu ihrem Umzug an den Prinzregentenplatz 16 im April 1998 von der Bogenhausener Polizei genutzt. Derzeit sind an der Holbeinstraße 9 wieder Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd untergebracht.

Bilder

Das Eingangsportal der Versicherungsanstalt für Oberbayern, 1907
Das Eingangsportal der Versicherungsanstalt für Oberbayern, 1907 Das im neubarocken Stil erbaute Gebäude mit seinem markanten Portal fand weit über die Grenzen Münchens hinaus Anerkennung, besonders weil alle Diensträume durch ihre Anordnung und den Innenanstrich licht und hell waren. Aber auch die für das Personal eingebauten Wannen- und Brausebäder sowie eine große Frühstückshalle waren für die damalige Zeit spektakulär. Quelle: Stadtarchiv München, FS-NL-PETT1-1247
Der frühere Haupteingang zur Holbeinstraße 9
Der frühere Haupteingang zur Holbeinstraße 9 Der Fassadenschmuck wurde vom Bildhauer Julius Seidler (1867–1936) geschaffen, der unter anderem mit Heilmann & Littmann zusammenarbeitete. Erstellt von: Karin Bernst, 2006
Gesamtansicht der Versicherungsanstalt für Oberbayern, 1911
Gesamtansicht der Versicherungsanstalt für Oberbayern, 1911 Wie der Haupteingang war auch das zweite Eingangsportal an der Südwestecke des Gebäudes mit plastischem Dekor versehen. Quelle: Stadtarchiv München, FS-NL-PETT1-1246
Das Gebäude der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd an der Holbeinstraße 9
Das Gebäude der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd an der Holbeinstraße 9 Der Gebäudekomplex gehört heute der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd, Nachfolgerin der ehemaligen Landesversicherungsanstalt Oberbayern, die ihren Sitz in München hat. Erstellt von: Karin Bernst, 2006
Das Gebäude der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd an der Holbeinstraße 9
Das Gebäude der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd an der Holbeinstraße 9 Das Gebäude überstand den Zweiten Weltkrieg unbeschadet und erhielt 1952 einen Erweiterungsbau, der östlich an die Holbeinstraße 9 angeschlossen wurde. Erstellt von: Karin Bernst, 2006
Relief über dem Eingang Holbeinstraße 11
Relief über dem Eingang Holbeinstraße 11 Dort befindet sich heute ein Ausbildungszentrum des Klinikums Rechts der Isar der Technischen Universität München. Das Relief über dem Eingang zeigt ein Schaf mit zwei Lämmern. Erstellt von: Karin Bernst, 2025

Ort

Holbeinstraße 9–11, 81679 München

Metadaten

Karin Bernst, “Das Anwesen Holbeinstraße 9–11,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 25. April 2025, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/233.