1907 gründete Alexander von Bernus die Schwabinger Schattenspiele. Von der Innenausstattung des kleinen flachen Anbaus mit Satteldach im Hinterhof an der Ainmillerstraße 32 zeugen neben Erinnerungsnotizen von Zeitgenoss:innen nur noch das Planmaterial der Lokalbaukommission vom 20. September 1907. Bereits im Frühjahr 1908 erhielt das Schattentheater anlässlich der Leistungsschau München 1908 eine neue Spielstätte mit einem eigenständigen Gebäude im Ausstellungs- und Vergnügungspark auf der Theresienhöhe.
Bernus folgte der Idee, eine neue Kunstform aus Dichtung und Schattenspiel zu entwickeln. Diese Kunstform der prägnanten Konturlinie barg eine Nähe zur Flächenkunst des Jugendstils. Mit Flächigkeit arbeiteten auch andere zeitgenössische Theaterreformer, die sich von einer naturalistischen Ästhetik lösen wollten.
Auf den im Stadtarchiv München erhaltenen Plänen ist ein Zuschauerraum für 60 Personen ausgewiesen. Elf Stuhlreihen verteilen sich im 13 Meter langen Raum, der rückwärtig durch eine seitliche Treppe betreten werden konnte. Das Podest steigt im 3,50 Meter hohen Raum nach hinten stufenweise an. Ein Oberlicht zur „Ventilation“ ist ebenso vermerkt wie ein kleiner Ofen, sanitäre Anlagen und eine Garderobe. Die Zuschauer in der ersten Reihe, auf den teuersten Plätzen, blicken steil bei 1,50 Metern zu der im Plan eingezeichneten Leinwand auf. Sie beginnt zentriert bei ebenfalls 1,50 Meter Raumhöhe und weist eine unerwartet kleine Fläche von etwa 80 x 120 cm auf. Zarte Farben wechselten auf diesem Spielfeld und kontrastierten mit klar konturierter landschaftlicher Umrahmung, so dass der Eindruck von ungewisser Ferne im Bildgrund entstand. Die vielseitig agierende Künstlerin Dora Polster, die neben weiteren Schülerinnen und Schülern der reformierten „Lehr- und Versuch-Ateliers für freie und angewandte Kunst“, seit 1904 kurz „Debschitz-Schule“, über einen von Alexander von Bernus initiierten Zeitungswettbewerb als Figurenschneiderin engagiert wurde, war maßgeblich für Ästhetik und Technik der Schattenspiele verantwortlich. Ihre in Schienen laufenden Figuren mit einfachen Bewegungsmechanismen wurden durch Lichteffekte illuminiert. Die abendfüllenden Vorführungen entfalteten aufgrund der Einfachheit der eingesetzten theatralen Mittel eine ganz eigene poetische Kraft – eine enge Verbindung von Wort und Schattenbild.
Für das Schattenspielpersonal sind in den Plänen hinter der Leinwand rund fünf Meter Raumtiefe eingezeichnet. Hier war die Lichtquelle, aus künstlerischen Gründen eine einfache Petroleum-Abblendelampe, zu verorten. Während die Akteure der Theaterillusion unsichtbar blieben, wurden die circa 35 cm großen Figuren und an Scharnieren befestigte Dekorationselemente im Schattenriss sichtbar. Wenige der Beteiligten sind bekannt: Vermerkt ist die Anzahl von sechs Personen im Rückraum der Bühne. Figurenspielende wie Dora Polster oder Rolf von Hoerschelmann bewegten vermutlich ihre Geschöpfe selbst, als Sprecher sind Karl Thylmann und Musiker wie Wilhelm Petersen bekannt. Der Vortrag der Stücke war melodisch, angelehnt an den „geheimnisvoll tönenden“ Stil des Stefan-George-Kreises, sowie musikalisch begleitet am Spinett, der Violine oder Flöte.
Bernus und sein freier Zusammenschluss an künstlerisch Schaffenden suchten im Schattenspiel eine „entmaterialisierte Welt der wachen Träume“, die neu-entdeckte Welt des Unterbewussten, sichtbar zu machen. Als Ausdrucksform nutzten sie die neu-romantische Dichtkunst sowie die symbolistische Sprachmagie des Schwabinger Dichters Stefan George. Auf aktuelle Einflüsse aus dem französischen Schattenspiel, wie die perspektivische Darstellung oder Effekte farbiger Figuren, wurde weitestgehend verzichtet.