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Die „Villenkolonie Neu-Pasing I“

Individuelle Wohnhäuser auf Bestellung aus dem Werbeprospekt

Der Architekt August Exter (1858–1933) erwarb im August 1892 zu einem günstigen Preis eine Fläche von 146.500 Quadratmetern nördlich des Pasinger Bahnhofs. Exter war zuvor im städtischen Hochbau tätig gewesen und wandte sich nun dem Projekt „Villenkolonie Neu-Pasing I“ zu, mit dem er dem Bürgertum bezahlbare Wohnhäuser mit individueller Gestaltung bieten wollte.

Ausgangspunkt für Exters Siedlungsprojekt war die industrielle Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese brachte einen raschen Bevölkerungsanstieg in den Industriestädten mit sich, der die dortigen Lebens- und Wohnumstände verschlechterte. Noch im selben Jahr des Grunderwerbs begann August Exter mit den Planungen zum Bau der Villenkolonie Pasing I, die zahlreiche Erschließungsarbeiten erforderte, damit eine Verunreinigung des Nymphenburger Kanals ausgeschlossen werden konnte. Zuvor war er bereits im städtischen Hochbau in der Münchner Innenstadt aktiv gewesen, beispielsweise bei Arbeiten für die Gabelsberger Brauerei, beim Umbau des „Grand Restaurant Platzl“ oder dem Bau der von den Nationalsozialisten zerstörten Ohel Jakob Synagoge. Nun wandte er sich dem Siedlungsbau zu. Sein Plan war es, preisgünstige Einfamilienhäuser für den gehobenen Mittelstand zu bauen, der sich die Wohnhäuser innerhalb der Burgfriedensgrenze nicht leisten konnte. Zur Zielgruppe zählten höhere Beamte und Künstler, für die die Häuser wegen ihrer großen Ateliers besonders interessant waren. Schon 1895 waren fast alle Grundstücke der Villenkolonie verkauft. Die Attraktivität der Gegend erklärt sich durch die von Exter erwirkte Ausnahme Pasings von der Residenzpflicht und dem im selben Jahr vom Landtag beschlossenen „Vorortverkehr“ nach dem Vorbild Berlins und Hamburgs, der eine nur zwölfminütige Fahrt in die Münchner Innenstadt zu einem vergünstigten Tarif ermöglichte.

Die Häuser der Villenkolonie zeichnen sich durch ihre individuelle Gestaltung aus, die von August Exter so vorgesehen war: „Es ist nicht beabsichtigt, städtische Villen zu errichten; ebenso wenig, nach einigen Schablonen eine grosse Anzahl Häuser fabrikmässig herzustellen. Jedes Haus soll vielmehr eine besondere Gestaltung erhalten. [...] Dabei soll jedes Haus nichts anderes sein wollen, als es thatsächlich ist: ein Landhaus.“ Im Fokus standen für Exter die Wünsche der Hausbesitzer, die er nach deren Vorstellungen ausführte. Das Projekt der Villenkolonie sollte dem gewachsenen Ansehen des Bürgertums entsprechen, das ab den 1870er Jahren weitgehend mit dem niederen Adel gleichgestellt war. Jedoch war das Bürgertum nicht in gleicher Weise an Konventionen gebunden und konnte somit andere Möglichkeiten nutzen, seine Vorstellungen des Wohnens beim Häuserbau umsetzen zu lassen. Als Vorbilder dienten Exter Bauernhäuser, kleinstädtische Fachwerkhäuser und Wehrbauten. Er fügte den Baukörpern Details wie kleine Türme, Erker und Balkone hinzu. Besonders der historisierende, teils eklektizistische Baustil und die antikisierende Bauplastik als Dekor sind charakteristische Gestaltungselemente der Exter’schen Villenkolonie. Auch christliche Motive in Medaillons, Kartuschen, Reliefs oder als Statuetten zieren die Hausfassaden. Diese Gestaltungselemente befanden sich teilweise bereits in den Häuserentwürfen und konnten von den Kunden in dieser Form oder mit kleinen Änderungen bestellt werden. Um 1900 häuften sich besonders die antikisierenden Bauelemente, die zu dieser Zeit wieder modern geworden waren und den hohen Bildungsstand der Bewohner über die Hausfassade präsentieren sollten.

Der große Grundankauf der Bodenspekulanten verhinderte die von Exter geplante östliche Erweiterung der Villenkolonie Pasing I. Stattdessen stellte ihm die wohlhabende Familie Riemerschmid schließlich westlich der Kolonie I Baugrund zur Verfügung, sodass 1897 die Villenkolonie Pasing II gegründet werden konnte. Die Villenkolonie Pasing I wurde 1973 unter Ensembleschutz gestellt.

Bilder

Blick über die Exter-Straße zum Pasinger Bahnhof und zur Storchenburg, um 1905
Blick über die Exter-Straße zum Pasinger Bahnhof und zur Storchenburg, um 1905 Das historische Foto zeigt den Blick über die Exter-Straße (heute August-Exter-Straße) auf die Nordseite des Pasinger Bahnhofs. Rechts im Bild ist die Storchenburg zu sehen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 382490 Datum: 2022
Bauplan der Villenkolonie Pasing I
Bauplan der Villenkolonie Pasing I Eine Übersicht über den Bauplatz und Abteilungsplan für die Villenkolonie Pasing I findet sich in einem Werbeprospekt August Exters. Die dunkel schraffierten Häuserflächen wurden bereits gebaut. Quelle: Michael Stanic (Hg.): Architect August Exter. Villen-Colonien Pasing, Ausst.-Kat. Pasinger Fabrik, München 1993, S. 37. Datum: 2022
Die ehemalige Storchenburg in der Exter-Straße, nach 1896
Die ehemalige Storchenburg in der Exter-Straße, nach 1896 Die Postkarte zeigt eine Gesamtansicht der ehemaligen Storchenburg, die im Jahr 1896 erbaut wurde. Im Untergeschoss befand sich ein Restaurationsbetrieb mit Biergarten, das Obergeschoss diente Exter zeitweise als Büro. Wegen der Verlegungen der Bahnschienen nach Norden wurde sie 1938 abgerissen. Heute befindet sich an ihrer Stelle das Kultur- und Veranstaltungszentrum Pasinger Fabrik. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 382492
Briefkopf des Architekten mit Häusern aus der Villenkolonie I und II, 1899
Briefkopf des Architekten mit Häusern aus der Villenkolonie I und II, 1899 Der Briefkopf August Exters zeigt einige Häuserbeispiele der Villenkolonien. Besonders deutlich werden hier die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Exter’schen Wohnhäuser. Der Brief stammt aus dem Jahr 1899. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 382749
Ein Exter’sches Haus am Wensauer Platz 9, nach 1893
Ein Exter’sches Haus am Wensauer Platz 9, nach 1893 Das Geschäftshaus von Heinrich Roth wurde 1893 von Exter erbaut. An diesem Häuserbeispiel wird der vielfältige Einfluss auf August Exters Bauen deutlich: Das Geschäftshaus Roth erinnert an ein bäuerliches Landhaus, das für gewöhnlich nicht einer derartigen Gegend zu erwarten wäre. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 382498
Verschiedene Häuserentwürfe aus den Werbeprospekten August Exters
Verschiedene Häuserentwürfe aus den Werbeprospekten August Exters Nach diesen Entwürfen in den Werbebroschüren konnten sich die gutbürgerlichen Käufer ihre Wohnhäuser auswählen. Die Prospekte boten eine Vielzahl von abwechslungsreichen Häusermodellen inklusive Änderungsmöglichkeiten und Sonderwünschen an. Quelle: Michael Stanic (Hg.): Architect August Exter. Villen-Colonien Pasing, Ausst.-Kat. Pasinger Fabrik, München 1993, S. 82–83.
Das Wohnhaus von August Exter in der Floßmannstraße, damals und heute
Das Wohnhaus von August Exter in der Floßmannstraße, damals und heute Exter lebte selbst seit dem Jahr 1895 ebenfalls in der Villenkolonie, wo er das 1894 erbaute Haus in der Floßmannstraße 32 (ehemals Luisenstraße, benannt nach der Gattin Exters) bezog. Das Foto zeigt das Wohnhaus in der Ansicht von Westen. 1961 wurde das Haus abgerissen. Heute befindet sich an seiner Stelle ein größeres Wohnhaus. Quelle: Michael Stanic (Hg.): Architect August Exter. Villen-Colonien Pasing, Ausst.-Kat. Pasinger Fabrik, München 1993, S. 136 (links) Erstellt von: Marlene Sauer (rechts) Datum: 2022
Adolf von Hildebrand, Der Bildhauer Josef Flossmann, um 1907/08 (München, Neue Pinakothek)
Adolf von Hildebrand, Der Bildhauer Josef Flossmann, um 1907/08 (München, Neue Pinakothek) Josef Flossmann (1862–1914) bewohnte bis zu seinem Tod die große „Flossmannvilla“ (erbaut 1905–1909) in der Marsopstraße 19. Flossmann studierte an der Kunstgewerbeschule und der Akademie in München. Er war Schüler Adolf von Hildebrands und Gründungsmitglied der Münchner Secession. Das Haus wurde in den nachfolgenden Jahren von zahlreichen Künstlern wie Malern, Bildhauern und Schauspielern als Wohn- und Arbeitsraum genutzt, darunter die Maler Edgar Ende, Georg Schrimpf, der Bildhauer Hans Osel, der Kunsthistoriker Ernst Buchner und der Schriftsteller Oskar Maria Graf. Die nahe gelegene Flossmannstraße wurde nach dem Künstler benannt. Quelle: Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Neue Pinakothek München (zuletzt aktualisiert am 12.05.2021, abgerufen am 23.11.2022)
Die Doppelvillen der Familie Flossmann in der Flossmannstraße 37, 2022
Die Doppelvillen der Familie Flossmann in der Flossmannstraße 37, 2022 An der Ecke zwischen Flossmann und Marsopstraße befinden sich die Doppelvillen, in welchen der Vater Flossmanns lebte. Die Fassadengestaltung stammt von Josef Flossmann. Das Relief mit dem christlichen Motiv der von zwei Engeln umgebenen Gottesmutter mit Kind über dem Balkonfenster stellt ein übliches Dekorationselement der Exter’schen Villen dar. Erstellt von: Marlene Sauer Datum: 2022
Das ehemalige Wohnhaus des Künstlers Hubert Netzer in der Marsopstraße 16, nach 1895 und 2022
Das ehemalige Wohnhaus des Künstlers Hubert Netzer in der Marsopstraße 16, nach 1895 und 2022 Der Künstler und Akademieprofessor Hubert Netzer (1865–1939) war wie Josef Flossmann Schüler Adolf von Hildebrands. Er lebte in dem 1895 von Exter erbauten Haus in der Marsopstraße 16, das er nach seiner Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Düsseldorf ab 1930 wieder bezog. Zum Werk Netzers zählen u. a. der Narzissbrunnen im Innenhof des Bayerischen Nationalmuseums (1897) und der Nornenbrunnen an den Maximiliansanlagen (1907). Das Wohnhaus Netzers am Würmkanal steht noch heute in kaum verändertem Zustand. Quelle: Michael Stanic (Hg.): Architect August Exter. Villen-Colonien Pasing, Ausst.-Kat. Pasinger Fabrik, München 1993, S. 135 (links) Erstellt von: Marlene Sauer (rechts)
Straßenansicht der Villa von Siegfried Flesch in der Marsopstraße 36, kurz nach Erbauung und 2022
Straßenansicht der Villa von Siegfried Flesch in der Marsopstraße 36, kurz nach Erbauung und 2022 Die Villa des Schriftstellers Siegfried Flesch (1883–?) wurde von 1910 bis 1914 in der zweiten Bauphase der Villenkolonie Pasing I erbaut. Die straßenseitigen, auf Postamenten thronenden Frauenskulpturen der Villa sind besonders prominent. Im Jahr 1927 fanden Umbauarbeiten statt. Bauherr war der Architekt Bernhard Borst (1883–1963), dessen Bauunternehmen ebenfalls am Bau der Villenkolonie I beteiligt war. Borst ist vor allem für die Wohnanlage Borstei an der Dachauer Straße bekannt. Quelle: Michael Stanic (Hg.): Architect August Exter. Villen-Colonien Pasing, Ausst.-Kat. Pasinger Fabrik, München 1993, S. 141 (links) Erstellt von: Marlene Sauer (rechts)
Villa von Siegfried Flesch in der Marsopstraße 36, nach 1914 und 2022
Villa von Siegfried Flesch in der Marsopstraße 36, nach 1914 und 2022 Besonders markant wirkt der Holzerker auf der Ostseite des Wohnhauses, der mit dekorativen Schnitzereien versehen ist. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 382507 (links) Erstellt von: Marlene Sauer (rechts)
Villa von Siegfried Flesch in der Marsopstraße 36, Gartentor, 2022
Villa von Siegfried Flesch in der Marsopstraße 36, Gartentor, 2022 Eingezäunt wird das Grundstück von einem dekorativen, schmiedeeisernen Gitter aus der Erbauungszeit des Hauses. Zwischen ornamentaler Dekoration werden an dem Gartentor mittig zwei fast gespiegelte Vögel mit aufgespannten Flügeln dargestellt. Erstellt von: Marlene Sauer Datum: 2022
Das ehemalige Gasthaus in der Orthstraße 13 und der noch heute bestehende Luisengarten, nach 1893 und 2022
Das ehemalige Gasthaus in der Orthstraße 13 und der noch heute bestehende Luisengarten, nach 1893 und 2022 Das Gasthaus zur Sonne war die Gaststätte in der Villenkolonie I. Das Haus wurde im Jahr 1893 von Exter erbaut und wird noch heute betrieben, nun unter dem Namen Luisengarten. Die bunte Fassadengestaltung hat sich jedoch bis heute nicht mehr erhalten. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 382515 (links) Erstellt von: Marlene Sauer (rechts)
Die Villa des Malers Otto Tragy, frühe 1900er Jahre und 2022
Die Villa des Malers Otto Tragy, frühe 1900er Jahre und 2022 Das Haus in der Marsopstraße 10 wurde ursprünglich für den Maler und Grafiker Otto Tragy (1866–1928) erbaut. Das Werk des Künstlers ist in seiner Gesamtheit noch nicht erfasst, doch entwarf er 1898 beispielsweise für die Spielkartenfabrik Schneider & Co. Jugendstil-Spielkarten. Die eindrucksvolle Villa ist heute nicht mehr vorhanden, an ihrer Stelle steht heute ein neues Wohnhaus. Quelle: Michael Stanic (Hg.): Architect August Exter. Villen-Colonien Pasing, Ausst.-Kat. Pasinger Fabrik, München 1993, S. 138 (links) Erstellt von: Marlene Sauer (rechts) Datum: 2022

Ort

Wensauerplatz 9, 81245 München

Metadaten

Marlene Sauer, “Die „Villenkolonie Neu-Pasing I“,” MunichArtToGo, accessed 18. April 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/54.