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Unter der Ichoschule in Giesing

Die Entdeckung der ersten Siedler des heutigen Giesing

Die Anfänge eines Dorfes, das zum Herzen der bayerischen Landeshauptstadt werden sollte, und ein bajuwarischer Friedhof, der von 1400 Jahren Siedlungsgeschichte erzählt.

Giesing wurde, wie viele andere Stadtteile Münchens, als eigenständiges Dorf gegründet. Wie einige dieser ehemaligen Dörfer reichen seine Wurzeln einige hundert Jahre weiter zurück als die der Landeshauptstadt.

Auf dem Gebiet des heutigen Giesing lagen vermutlich im 6. und 7. Jahrhundert n. Chr. vier kleinere bajuwarische Siedlungen entlang der Tegernseer Landstraße und der Regerstraße. Darauf deuten verschiedene Friedhöfe hin, die in der Nähe der jeweiligen Siedlungen gelegen haben müssen. Der größte Friedhof befand sich im Bereich der heutigen Ichoschule und damit in der Nähe der alten Dorfkirche, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts durch die nach Norden verlegte Heilig-Kreuz-Kirche ersetzt wurde. Die Nähe des Friedhofs zur alten Dorfkirche deutet auf eine lange Siedlungskontinuität im Bereich von Giesing hin, deren Beginn mit den ältesten Gräbern aus dem späten 6. Jahrhundert gefasst werden kann. Der Bestattungsplatz im Bereich der Ichoschule ist ein typisches Reihengräberfeld. So werden Friedhöfe des 5. bis 7. Jahrhunderts n. Chr. bezeichnet, auf denen die Toten mit dem Kopf nach Westen in parallelen Reihen bestattet wurden, ähnlich wie auf unseren heutigen Friedhöfen. Im 6./7. Jahrhundert n. Chr. wurden die Toten jedoch reich mit Grabbeigaben ausgestattet.

Auf dem Friedhofsgelände im Dreieck zwischen Tegernseer Landstraße, Silberhornstraße und Ichostraße wurden 1898 an der Ostseite drei Häuser errichtet. Schon damals wurden ca. 50 Gräber entdeckt, die jedoch nicht in die Fundberichte aufgenommen und unwiederbringlich zerstört wurden. Lediglich einige Waffen und Schmuckstücke konnten aus dem Erdreich im Bereich der verschwundenen Gräber geborgen werden. Nachdem die Fundstelle bekannt war, wurden 1914 im Vorgriff auf den Bau der Ichoschule auf dem Gelände Forschungsgrabungen durchgeführt, die weitere 253 Bestattungen zu Tage brachten. Man schätzt, dass sich ursprünglich insgesamt etwa 320 Gräber auf dem Gelände befanden. Obwohl nicht bei allen Verstorbenen das Geschlecht durch anthropologische Untersuchungen oder geschlechtsspezifische Beigaben festgestellt werden konnte, ist davon auszugehen, dass etwa gleich viele Männer wie Frauen bestattet wurden. Der Anteil der Kinder ist mit 59 Bestattungen – entsprechend den damaligen Lebensumständen – sehr hoch. Nur in Ausnahmefällen fanden sich Reste von Holzsärgen, doch ist davon auszugehen, dass die Verstorbenen in der Regel in einem solchen bestattet wurden. Den meisten Toten wurden von ihren Angehörigen mehr oder weniger reiche Grabbeigaben mitgegeben.

Charakteristisch für Männergräber sind Waffenbeigaben wie Sax (einschneidiges Schwert), Spatha (zweischneidiges Schwert), Lanze, Schild, Pfeil und Bogen, aber auch kunstvoll verzierte Gürtel. Frauengräber sind dagegen durch Schmuck wie Ohrringe, Perlenketten, Ziernadeln für die Haartracht und Fibeln, die das Gewand zusammenhielten, gekennzeichnet. Auch Frauen besaßen Gürtel, die jedoch nicht so reich verziert waren wie die der Männer. An einigen waren Messer oder Schmuckstücke befestigt. Messer und Kämme wurden sowohl in Männer- als auch in Frauengräbern gefunden. Etwa ein Viertel der Gräber wurde kurz nach der Bestattung wieder geöffnet und ein Teil der Beigaben wieder entwendet. Die Hintergründe sind vielfältig, in vielen Fällen stehen die Angehörigen tatsächlich unter dringendem Tatverdacht.

Etwa ein Drittel der Gräber enthielt keinerlei Beigaben. Interessanterweise handelt es sich dabei um die jüngsten Gräber aus der Zeit um 700 n. Chr., die einen Zeitpunkt zu markieren scheinen, an dem die Beigabentradition aus bisher ungeklärten Gründen aufgegeben wurde. Obwohl dieser Ort bereits viel über seine Anfänge und die ersten Bewohner Giesings verraten hat, warten noch viele Geschichten im Boden Münchens darauf, entdeckt und erzählt zu werden.

Bilder

Bau der Ichoschule, ca. 1915
Bau der Ichoschule, ca. 1915 Blick auf den Rohbau mit Erdgeschoss der 1915-1916 nach Plänen von Hans Grässel errichteten Ichoschule. Quelle: Stadtarchiv München, FS-HB-V-a-1002
Blick auf die beiden Heilig-Kreuz-Kirchen, 1885
Blick auf die beiden Heilig-Kreuz-Kirchen, 1885 Die neue Heilig-Kreuz-Kirche wurde ab 1866 nach Plänen des Königlichen Hofbaudirektors Georg von Dollmann errichtet. Kurz nach der Einweihung im Jahr 1886 wurde die alte Dorfkirche (rechts im Bild) abgebrochen. Quelle: Stadtarchiv München, FS-NL-WEIN-0531
München-Giesing, Grab 224
München-Giesing, Grab 224 Kämme aus Tierknochen, wie dieses Exemplar aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., fanden sich in Männer- wie in Frauengräbern. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017
München-Giesing, Grab 109
München-Giesing, Grab 109 Männergürtel waren im 6./7. Jahrhundert n. Chr. häufig mit Metallbeschlägen verziert. Aus Grab 109 stammen prächtige Exemplare aus Eisen, die kunstvoll mit Einlagen aus Silber und Messing verziert sind. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017
München-Giesing, Grab 164
München-Giesing, Grab 164 Der bronzene Gewandverschluss einer Frau aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. zeigt eine rätselhafte Darstellung: eine Frau (links) und einen Mann, über die eine dritte Person die Arme breitet – ein Engel? Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017
München-Giesing, Grab 224
München-Giesing, Grab 224 Ein kreuzförmiger Anhänger aus Eisen mit Silber-Einlagen. Ein Zeichen des Christentums im 7. Jh. n. Chr. in Giesing. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017
München-Giesing, Grab 164
München-Giesing, Grab 164 Ursprünglich glänzte dieser bronzene Ohrring wie Gold. Die Lagerung im Boden führte zur Bildung der grünen Patina. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017
München-Giesing, Grab 10
München-Giesing, Grab 10 Die Oberschicht des 6./7. Jahrhunderts n. Chr. besaß golddurchwirkte Gewänder. Stoffe bleiben im Boden nicht erhalten, aber das „ewige“ Gold. Diese golddurchwirkte Borte lag im Schädelbereich einer Frau – Reste eines Schleiers oder eines Haarbandes. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017
München-Giesing, Grab 49
München-Giesing, Grab 49 Gewandverschluss einer Frau des 6. Jahrhunderts n. Chr. aus vergoldetem Silber mit Granateinlagen. Dargestellt ist ein bandförmiges Wesen mit zwei Vogelköpfen – man erkennt gut das runde Granat-Auge und den gekrümmten Schnabel. Der Sinngehalt dieser Darstellung liegt im Dunkeln. Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich, 2017

Ort

Ichostraße 2, 81541 München

Metadaten

Anna Enzensberger und Brigitte Haas-Gebhard, “Unter der Ichoschule in Giesing,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 21. November 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/172.