Die Schulgebäude am Gotzinger Platz
Bildung mit Repräsentationsansprüchen
Die Schulgebäude am Gotzinger Platz in Sendling beherbergten eine der ersten Simultanschulen in München. Wie viele andere Schulen des Architekten Hans Grässel (1860–1939) entstand der Bau, bei dem gleichermaßen auf Angemessenheit, ästhetischen Anspruch sowie auf die Anwendung traditioneller Methoden der Baukunst geachtet wurde, in einem Arbeiter:innenviertel.
Die Einführung von Simultanschulen oder Gemeinschaftsschulen, das heißt Schulen, in denen Kinder unterschiedlicher Konfessionen zusammen nach christlich-abendländischen Grundsätzen unterrichtet wurden, war in München umstritten gewesen – 1912 ließen sich im ganzen Stadtgebiet nur zwei zählen. Verschiedene Versuche, in Bayern Gemeinschaftsschulen zu etablieren, waren bis auf die Zeit des Nationalsozialismus von geringem Erfolg. Erst 1968 konnten in Bayern Simultanschulen großflächig eingeführt werden.
Das zweiflügelige Schulhaus wurde zwischen 1905 und 1907 an der Südseite des Gotzinger Platzes erbaut. Die katholische Volksschule sowie Kindergarten und Tageshort befanden sich im höheren Osttrakt, welcher sich nach außen durch einen Turm baulich abhebt. Im Westflügel waren eine protestantische Schule sowie die städtische Berufsschule für Schlosser und Schreiner untergebracht. Die beiden Trakte teilten sich einen quer eingeschobenen Verbindungsbau mit Turnsälen und Aula.
Im Gegensatz zu vielen Schulgebäuden aus dem 19. Jahrhundert ist dieser Gebäudekomplex nicht streng symmetrisch. Die einzelnen Elemente sind stattdessen zueinander versetzt, wobei sie gestalterisch immer noch miteinander korrespondieren. Das nimmt dem Gebäude den kasernenartigen Charakter, den Schulen im 19. Jahrhundert oftmals besaßen.
Der Gebäudekomplex ist in hellgrüner Farbe gestrichen. Diverse dekorative Elemente sind an unterschiedlichen Stellen der Gebäude in dunkelgrüner, gelber oder roter Farbe angebracht.
Die Betonung einer emotionalen und individualisierenden Komponente, auch im Inneren der Gebäude, war für den zuständigen Architekten Hans Grässel von großer Bedeutung. Davon zeugen seine Experimente mit der Farbenlehre (gespeist u.a. aus den Schriften Goethes und Grässels subjektiven Erfahrungen), welche er mehrfach in seine Vorträge einbezog, sowie sein Interesse für Kunstgewerbe und Volkskunst – was sich bis in die Inneneinrichtung der Schulen fortzog. Diese Herangehensweise kann auch als eine Gegenbewegung zur Modernisierung und Rationalisierung des Bauwesens mit seiner Hinwendung zu Technik und Komfort verstanden werden. Bestimmte Architekten, zu denen Grässel zählte, fürchteten eine zunehmende Verdrängung traditioneller Methoden der Baukunst.
Gleichzeitig sollte der Schulbau im umliegenden Stadtbild dominieren und durch seine Wirkung auch zur Geschmacksbildung beitragen. Schulgebäuden kam im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zunehmend eine repräsentative Funktion im Stadtraum zu, welche früher Kirchen vorbehalten gewesen war.
Der Komplex wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, 1954–1955 wiederhergestellt und 1994 bis 2000 generalsaniert. Mittlerweile beherbergen die Gebäude die Volksschule Gotzinger Platz (mit Grund- und Mittelschule), sowie die Maria-Probst-Realschule. Zu den ehemaligen Schülern zählen unter anderem der Journalist und Schriftsteller Sigfried „Sigi“ Sommer und der Regisseur Rainer Werner Fassbinder.