In den Grünanlagen zwischen Hofgarten und Prinz-Carl-Palais steht die Kopie einer im Volksmund „Der Harmlos“ genannten Marmorstatue in gräzisierendem Stil. Seinen Spitznamen erhielt der steinerne Jüngling auf Grund der absichtlich missgedeuteten Inschrift der neben ihm stehenden Tafel.
WANDELT.HIER.
DANN.KEHRET.
NEU.GESTÆRKT.
ZU.IEDER.
PFLICHT.ZURÜK.
Die Inschrift nimmt also Bezug auf das Bestreben, den Münchner Bürgern im Englischen Garten einen Erholungsraum zu bieten. Genau hierfür wurde der Garten nach den Plänen von Friedrich Ludwig von Sckell unter Kurfürst Karl Theodor auf Anregung seines Generalleibadjutanten Benjamin Thomson zwischen 1789 und 1793 angelegt. Seinen Namen erhielt der Garten von den englischen Landschaftsgärten, die sich Sckell hierbei zum Vorbild nahm.
Das Denkmal des „Harmlos“ wurde anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Englischen Gartens im Jahre 1803 vom damaligen bayerischen Kultusminister Heinrich Theodor Johann Graf Topor von Morawitzky (1735–1810) gestiftet. So verzeichnet es auch die Sockelinschrift:
GEWIDMET
VON
THEODOR GRAF MORAWITZKY
DURCH
FRANZ SCHWANTHALLER
MDCCCIII
Graf Morawitzky ließ die Statue an der Stelle aufstellen, an der sich damals das Ende des von der Hofgartenkaserne kommenden Regimentswegs befand. Von hier aus gelangte man über das Hofgartentor durch die noch bestehenden Bastionsanlagen in den auch als „Theodors-Park“ oder „Volkspark“ bezeichneten Garten. Die Statue stand damit seit jeher an prominenter Stelle, am Eingang und Anfang des Englischen Gartens. Das aus Tegernseer Marmor gefertigte Original von Franz Jakob Schwanthaler (1760–1820) befindet sich seit 1983 als Reaktion auf die mehrfache mutwillige Beschädigung der Statue im Residenzmuseum.
Wen aber stellt die Statue dar? Weder Stifter noch Künstler haben Hinweise auf die Identifikation des marmornen Jünglings hinterlassen. Anfangs bloß als „Statua“ beziehungsweise „Statue“ oder „Denkmal“ auf Plänen verzeichnet, spricht man recht schnell von der „Statue eines griechischen Jünglings“, dem „Genius der Gärten“, dem „Götterknaben“ und zahlreichen anderen Bezeichnungen und versucht der offensichtlichen klassizistischen Antikenrezeption einen passenden Namen zu geben. Spätestens um das Jahr 1810 taucht dann zum ersten Mal die Bezeichnung „Statue des Antinous“ auf, worin das Münchner Bürgertum offenbar endlich eine angemessene Vorlage für das Werk Schwanthalers sah.
Fortan häufen sich die Erwähnungen des „Harmlos, der eigentlich ein Antinoos ist“ und scheinen sich im Laufe der Zeit verfestigt zu haben. So weisen heute Stadtführer bei ihren Besichtigungstouren, diverse Reiseliteratur zu München, Wikipedia und andere Internetquellen, aber auch Fachliteratur und Denkmälerlisten immer wieder auf den makellos schönen Jüngling Antinoos, den jugendlichen Freund, Liebhaber und Reisebegleiter des römischen Kaisers Hadrian als Vorlage für den „Harmlos“ hin – auch wenn er manches für Antinoos charakteristische Merkmal vermissen lässt.
Dass dieser Antinoos bei einem Ägyptenbesuch des Kaisers Hadrian um 130 n. Chr. im Nil ertrank, ist eine der wenigen Informationen, die wir überhaupt über ihn haben. Darüber hinaus wird allgemein angenommen, dass Antinoos um 110 n. Chr. in Bithynien-Klaudiopolis, im Nordwesten Kleinasiens geboren wurde (heutiges Bolu in der Türkei). Bei einem Aufenthalt Hadrians in Bithynien traf Hadrian den Knaben, der den Kaiser von nun an auch auf allen seinen Reisen begleiten sollte.
Gesichert ist, dass Hadrian die Verehrung und Vergöttlichung seines geliebten Antinoos betreibt. Am rechten Nilufer in Mittelägypten, an der Stelle des Unglücks, ließ Hadrian nach hellenistischem Vorbild die Stadt Antinoopolis (heute Sheikh Abade) errichten. Bemerkenswert ist auch die große Anzahl von Antinoos-Statuen und Abbildern, die daraufhin geschaffen wurden. Zu diesen über 100 uns heute zumindest in Fragmenten erhaltenen Statuen gehört als ein herausragendes Werk die Statue im Ägyptischen Museum (Gl. WAF 24), die aus der Villa Hadriana stammend den Jüngling in ägyptischer Tracht mit plissiertem Schurz, gestreiftem Königskopftuch und mit der Uräusschlange an der Stirn zeigt. Damit gehört er zu einer kleineren Gruppe von Statuen, die den Antinoos im ägyptischen Königsornat darstellen.
Bis heute beruht die von Antinoos ausgehende Faszination vor allem auf seiner Beziehung zu Kaiser Hadrian und den daraus resultierenden zahlreichen Kunstwerken, die in Erinnerung an Antinoos geschaffen wurden. Zur Rezeption der Antinoos-Geschichte kommt es dann wieder vor allem von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Hier sind beispielsweise Büsten und Statuetten oft aus Bronze weit verbreitet, aber auch großformatige Statuen. Viele dieser Nachschöpfungen orientieren sich am jeweiligen zeitgenössischen Geschmack. Hierzu könnte auch der „Harmlos“ gehören – zumindest hat es sich so wohl in den Köpfen festgesetzt.