Der „Führerbau“ am Ende des Zweiten Weltkrieges
Ein Kunstdepot wird geplündert
Kurz vor der Eroberung Münchens durch die Amerikaner, deren Truppen unmittelbar vorher das KZ in Dachau befreit hatten, wurde das Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz von der Bevölkerung geplündert. Neben Lebensmitteln, Ausstattungsstücken und anderem verwertbaren Material wurden auch hunderte von hochkarätigen Kunstwerken aus den Depots in den Luftschutzkellern der Gebäude gestohlen.
Was war geschehen? Weshalb waren in den Gebäuden der Partei Kunstwerke gelagert?
Als am 28. April 1945 die amerikanischen Truppen in einer Zangenbewegung von Norden und Süden kommend München erreichten und einnahmen, war das Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz längst von Wachmannschaften und Personal verlassen. Ohnehin hatte seit Beginn des Krieges die politische Bedeutung und mediale Inszenierung von „Führerbau“ und benachbartem „Verwaltungsbau“ stetig abgenommen. Während im Verwaltungsbau allerdings weiterhin die Finanzverwaltung der Partei und die Pflege der Mitgliederkartei betrieben wurde, war dem „Führerbau“ eine neue Funktion zugewiesen worden. Für den sogenannten „Sonderauftrag Linz“, also für das von Hitler geplante aber nie realisierte Führermuseum in Linz, diente er als logistisches Zentrum. Hier besichtigte Hitler in regelmäßigen Abständen neu „erworbene“ Kunstwerke, hier wurden die Objekte durch Fotografen professionell dokumentiert und registriert. Diese Fotografien wiederum dienten dem wissenschaftlichen Team des Sonderauftrags, das an der Gemäldegalerie in Dresden angesiedelt war, als Arbeitsgrundlage für die kunsthistorische Einordnung und Katalogisierung der Werke. Die Erwerbungen des „Sonderauftrags“ wurden anfangs über Dresden, später immer häufiger auch direkt aus den verschiedenen besetzten Ländern nach München geschickt und dort in ein Gesamtinventar aufgenommen, das von dem Architekten Hans Reger geführt wurde.
Reger organisierte von München aus die Transporte der Kunstwerke des „Sonderauftrags“ in die Bergungsdepots. Das war zunächst das Stift Kremsmünster, in das ca. 1.700 Werke von München ausgelagert wurden. Als Hitler das Stift im November 1943 unter Luftschutzgesichtspunkten nicht mehr sicher genug erschien, trat das Depot im Salzbergwerk Altaussee in der Steiermark an dessen Stelle. Bis in den April 1945 wurden aus dem „Führerbau“ gut 1.600 Gemälde hierhin geliefert. Ein Transport mit 137 Gemälden und weiterem Kulturgut verließ München noch am 13. April 1945.
Im „Führerbau“, der gewissermaßen als ein Hilfsdepot fungierte, benutzte man für die luftschutzsichere Deponierung die eigentlich für den Schutz von Personen vorgesehenen Zellen in der Bunkeranlage im Kellergeschoss auf der Westseite des Gebäudes. Die kleinteilig gegliederte Anlage mit Grundrissgrößen zwischen 8,5 und 21,5 Quadratmetern und einer beschränkten Zugangshöhe von maximal 2,20 Metern legten den Einlagerungen von Kunstgut hinsichtlich der Größe deutliche Einschränkungen auf.
Was aber war nun vor fast 70 Jahren in den Zellen der Luftschutzkeller des Parteizentrums der NSDAP gelagert? Was fiel den Plünderungen zum Opfer? Dazu kursierten seit 1945 die unterschiedlichsten Informationen, Gerüchte und Zahlen. Beispielhaft schildert der Bericht über die Vernehmung Hans Regers durch die Amerikaner die Ereignisse:
„Am 29. April 1945 befanden sich noch 723 Objekte, darunter die Sammlung SCHLOSS (262 Gemälde) in den Luftschutzbunkern. … Am späten Abend des 29. April 1945 drang eine Gruppe von Zivilisten in den Führerbau ein und plünderten in großem Stil, darunter auch die Gemälde in den Luftschutzbunkern. … Weitere Plünderungen fanden statt, als Truppen der 7th U. S. Army am 30. April und danach eintrafen. Die Ermittlungen laufen derzeit, um die Einzelheiten dieser Aktivitäten zu ermitteln.“
Diese Ermittlungen wurden zunächst vom Central Collecting Point durchgeführt, später auch von der Kriminalpolizei und der Treuhandverwaltung. Im Laufe der Jahre gelang es, einige der Kunstwerke aufzuspüren und zurückzuführen. Der gesamte Umfang des Diebstahls wurde erst durch ein Forschungsprojekt des Zentralinstituts für Kunstgeschichte sichtbar, das mit Unterstützung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zwischen 2014 und 2018 durchgeführt werden konnte. Die Grundlage dieses Projekts bildeten u. a. die reichhaltige Überlieferung an historischem Fotomaterial aus der NS-Zeit, das in der Photothek des ZI bewahrt ist.
Der Abschlussbericht des Projekts dokumentiert ausführlich die belegbaren Verluste und bilanziert folgende Zahlen:
Ende April 1945 waren ca. 1.500 Objekte noch im Führerbau deponiert, davon wurden 676 Kunstwerke gestohlen. 297 Objekte konnten im Laufe der Jahrzehnte wiedergefunden werden. Allerdings müssen 379 Kunstwerke bis heute für die Öffentlichkeit und die Forschung als verschollen gelten!
Die verschwundenen Bilder sind zu einem großen Teil bei Interpol als gestohlen registriert und bei der deutschen Polizei zur Fahndung ausgeschrieben.