Die Kunsthandlung Julius Böhler
Drehscheibe des internationalen Kunsthandels
Fast über hundert Jahre wurden im Palais Böhler in der Brienner Straße Kunstwerke ausgestellt, verkauft und versteigert. Besucher:innen bewunderten hier Kunstschätze aus aller Welt, Händler:innen feilschten um Preise, Expert:innen rangen um Echtheitsfragen, Museumsleute hielten Ausschau nach Ergänzungen für ihre Sammlungen. Damit war das Palais Böhler ein Zentrum des einst weltberühmten Münchner Kunstmarktes.
Nach mehr als zwanzig Jahren waren die in der Sophienstraße 6, direkt gegenüber des Eingang des für die "Kunststadt" so bedeutsamen Glaspalastes gelegenen Räumlichkeiten des Hofantiquars Julius Böhler (1860–1934) zu klein geworden. 1903 erwarb Böhler deshalb ein Anwesen in der damaligen Brienner Straße 12 und beauftragte Gabriel von Seidl (1848–1913), ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus zu errichten. Die bildnerische Ausschmückung der Fassade verantwortete der Münchner Bildhauer und spätere Akademieprofessor Julius Seidler (1867–1936). 1904 war das wie ein oberitalienischer Palazzo gestaltete Gebäude fertiggestellt. Im Erdgeschoss fanden mehrere Verkaufs- und Ausstellungsräume und ein großer Oberlichtsaal Platz. Der erste Stock war für die umfangreiche Privatsammlung vorgesehen; in den beiden oberen Etagen befand sich je eine geräumige Wohnung für die Familie Böhler.
Mit dem neuen Standort war Böhler in bester Gesellschaft anderer großer Kunsthandelshäuser, wie L. Bernheimer oder der Galerie Heinemann – Konkurrenz belebte auch schon damals das Geschäft. Mit dem Umzug in die Brienner Straße begann die Blütezeit der Kunsthandlung Böhler. Julius’ ältester Sohn Julius Wilhelm Böhler (1883–1966) trat 1906 als Teilhaber in das Geschäft ein; sein jüngerer Bruder Otto Alfons Böhler (1887–1950) folgte vier Jahre später. Von der Brienner Straße aus forcierten die Brüder die internationale Expansion; Otto Alfons gründete 1910 zusammen mit dem Kunsthändler Fritz Steinmeyer (1880–1959) die Kunsthandlung Böhler und Steinmeyer in New York, Julius Wilhelm initiierte 1919 zusammen mit Fritz Steinmeyer die Gründung der Kunsthandel AG in Luzern.
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zählte die Kunsthandlung Julius Böhler zu den ersten Kunsthandelshäusern in Deutschland. Im Palais Böhler gingen internationale Museumsleute ein und aus, die mithilfe der Böhlers ihre Sammlungen erweiterten und verfeinerten; ebenso Sammler:innen, die ihre Häuser und Wohnungen mit repräsentativen Möbeln, bedeutenden Gemälden oder Plastiken, wertvollen Gobelins, glänzendem Porzellan- oder Silbergeschirr oder exotisch anmutenden Kunstobjekten aus aller Welt ausstatteten.
Nach dem Einbruch in Folge der Weltwirtschaftskrise erholten sich Umsatz und Gewinn in den 1930er Jahren, auch weil das seit 1928 von Julius Harry Böhler (1907–1979) geleitete Unternehmen – anders als die zahlreichen als „jüdisch“ diskriminierten Kunsthandlungen, die ab 1934 sukzessive verdrängt, enteignet und liquidiert wurden – von der antisemitisch motivierten Umstrukturierung des Kunstmarktes profitierte. Mit vier Auktionen, die Böhler zwischen 1936 und 1938 im großen Oberlichtsaal veranstaltete, weitete die Kunsthandlung zusätzlich ihr Geschäftsfeld aus.
Trotz der heftigen alliierten Luftangriffe auf die in unmittelbarer Nähe gelegenen Bauten der NSDAP rund um den Karolinen- und Königsplatz wurde das Gebäude nur leicht beschädigt, sodass das Geschäft in der Brienner Straße 12 auch nach Kriegsende fortgeführt werden konnte. 1956 übernahm Julius Gustav Böhler (1929–2010), der Urenkel des Firmengründers, die Kunsthandlung. Unter der Leitung von Florian Eitle-Böhler, seinem Neffen, zog das Unternehmen an den Starnberger See; nach hundert Jahren wurde damit der Stammsitz in der Brienner Straße aufgegeben. Das umfangreiche Archiv der Kunsthandlung ging 1995 an das Bayerische Wirtschaftsarchiv; seitdem stehen der Forschung dort die Lagerbücher und 35 laufende Meter Korrespondenz zur Verfügung. Rund 20 Jahre später verkaufte Eitle-Böhler dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte die ca. 30.000 Objektkarteikarten, über 8.000 Fotomappen und die knapp 4.000 Karten umfassende Kund:innenkartei.