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Der Central Collecting Point

Restitution und Wissenschaft nach 1945

Im Juni 1945 richtete die US-Militärregierung in den ehemaligen NS-Gebäuden am Königsplatz die Kunstsammelstelle für NS-Raubkunst und ausgelagerte deutsche Museumsbestände (Central Art Collecting Point) ein. Seither werden die ehemaligen Repräsentationsbauten der „Reichsleitung der NSDAP“ kontinuierlich durch Kulturinstitutionen genutzt.

Ende April 1945 rückten die amerikanischen Streitkräfte in München ein und beschlagnahmten die Gebäude der vormaligen „Reichsleitung der NSDAP“ in der Maxvorstadt. Die im Kellergeschoss des „Führerbaus“ deponierte Gemäldesammlung Adolphe Schloss war kurz vor Eintreffen der Amerikaner geplündert worden. Weder der „Führerbau“ noch der „Verwaltungsbau“ hatten nennenswerte Bombenschäden davongetragen. Hier etablierte die US-Militärregierung im Juni 1945 den Central Art Collecting Point (CCP). Aufgabe dieser Kunstsammelstelle war es, NS-Raubkunst und ausgelagerte deutsche Museumsbestände zu sichern und zu restituieren. NS-Raubkunst wurde durch den Münchner Collecting Point an die rechtmäßigen Eigentümer in ganz Europa restituiert. Im ehemaligen „Verwaltungsbau der NSDAP“, zeitweilig auch im ehemaligen „Führerbau“ arbeiteten neben amerikanischen „Monuments Men“ und Vertreter:innen europäischer Kunstschutzkommissionen auch deutsches Personal.

Im Juni 1945 begann der Abtransport der Kunstwerke aus ihren provisorischen Lagerstätten nach München, wo sie zunächst mit der sogenannten „Münchner Nummer“ registriert wurden. Sichergestellt wurden zahlreiche geraubte Kunstwerke, die Adolf Hitler für ein in Linz geplantes Kunstmuseum und für andere Orte vorgesehen hatte. Auch die weitgehend aus Raubgut zusammengesetzte Kunstsammlung Hermann Görings wurde über den Münchner CCP restitutiert. 1946 erschien Göring karikiert als „Der letzte Renaissance-Fürst“, thronend über einem Lager von Raubkunst. Die Vorstellung von der immensen kunsthistorischen Bedeutung und dem materiellen Wert der im Collecting Point versammelten kostbaren Objekte beflügelt jede Beschäftigung mit dem Thema.

Neben der sogenannten „inneren Restitution“, der Rückführung innerhalb Deutschlands, betraf der umfangreichste Arbeitskomplex des Münchner CCP die Rückgabe ins Ausland, die „äußere Restitution“. Die meisten Kunstwerke gingen nach Frankreich und in osteuropäische Staaten zurück, nach Belgien und in die Niederlande. Besonderen politischen Spannungen unterlagen die Rückgaben an die mit dem nationalsozialistischen Deutschland zeitweise verbündeten Staaten Österreich und Italien. Die politisch heikle und bürokratisch penible Arbeit des Collecting Point verlief weder reibungslos noch fehlerfrei. Manche nach damaligem Wissensstand getroffenen Entscheidungen stellten sich später als voreilig heraus.

1949 übergab die US-Regierung die Verantwortung für noch nicht restituierte Objekte an deutsche Behörden. 1952 wurde als Nachfolgeinstitution die „Treuhandverwaltung von Kulturgut“ gegründet, die bis 1962 bestand. Ein Restbestand an nicht restituierten Kunstwerken aus dem Bestand des CCP, deren Provenienzen bisher keinen verfolgungsbedingten Hintergrund haben erkennen lassen, befindet sich in der Obhut des Bundesverwaltungsamts.

Restitutionen aus der amerikanischen Besatzungszone an die Staaten im Einflussbereich der Sowjetunion unterlagen Spannungen, die sich aus dem einsetzenden Kalten Krieg ergaben. Im Osten wie im Westen kam den Fragen nach der Restitution von Kunst und Kulturgütern politische Relevanz von hoher Symbolkraft zu.

Mit Ausstellungen zeitgenössischer deutscher Kunst spielten der Collecting Point und das 1948 im ehemaligen „Führerbau“ eingerichtete „US Information Center“ für den Wiederaufbau der Münchner Kunst- und Kulturszene eine wichtige Rolle. Heute wird der ehemalige „Verwaltungsbau der NSDAP“ durch verschiedene Kulturinstitute genutzt. Zu ihnen gehört das 1947 hier gegründete Zentralinstitut für Kunstgeschichte als außeruniversitäres kunsthistorisches Forschungsinstitut. Einer der Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit ist die Provenienzforschung, zu der sich die öffentlichen Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland mit der Unterzeichnung der „Washington Principles“ 1998 verpflichtet haben. Noch immer ist man weit davon entfernt, den Kunstraub und die Kunstverluste während des Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkriegs im ganzen Ausmaß abschätzen zu können.

Bilder

Anlieferung von Kunstwerken an der Südpforte des Central Collecting Point, 1945/46
Anlieferung von Kunstwerken an der Südpforte des Central Collecting Point, 1945/46 Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv
Straßenfassade des Central Collecting Point, 1945
Straßenfassade des Central Collecting Point, 1945 Die Fotografie zeigt die im Krieg angebrachten Tarnnetze. Der Stacheldraht um den ehemaligen „Verwaltungsbau der NSDAP“ macht deutlich, dass das von der US-Militärregierung beschlagnahmte und mit dem Sternenbanner beflaggte Gebäude „Off Limits“ war (Zutritt verboten). Das NS-Hoheitszeichen mit Adler und Hakenkreuz wurde erst im Winter 1946/47 entfernt. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv
Porträt des Pastors Adrianus Tegularius von Frans Hals
Porträt des Pastors Adrianus Tegularius von Frans Hals Das Ende April 1945 mit der Sammlung Schloss aus dem „Führerbau“ gestohlene Gemälde wurde nach einer Odyssee im europäischen Kunsthandel erst 2001 an die rechtmäßigen Eigentümer restituiert. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv
Registrierung von Kunstwerken im Lichthof des Collecting Point, 1945/46
Registrierung von Kunstwerken im Lichthof des Collecting Point, 1945/46 Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 390872
Jean-Baptiste Fragonard, „Blindekuhspiel“ (Münchner Nummer 1461, Sammlung Alphonse Rothschild, Wien, 1945 restituiert, heute Toledo Museum of Art, Toledo, OH)
Jean-Baptiste Fragonard, „Blindekuhspiel“ (Münchner Nummer 1461, Sammlung Alphonse Rothschild, Wien, 1945 restituiert, heute Toledo Museum of Art, Toledo, OH) Die im Collecting Point angefertigten Fotografien der Kunstwerke wurden später auf Fotopappen aufgeklebt und befinden sich heute in der Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 101511
Pieter Brueghel, „Der Blindensturz“ (Münchner Nummer 4980, 1947 an das Museo Nazionale di Capodimonte in Neapel restituiert)
Pieter Brueghel, „Der Blindensturz“ (Münchner Nummer 4980, 1947 an das Museo Nazionale di Capodimonte in Neapel restituiert) Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 102947
Internationale Kunstschutzoffiziere im Collecting Point
Internationale Kunstschutzoffiziere im Collecting Point Der Vertreter der französischen Kunstschutzkommission Élie Doubinsky, die Amerikanerin Evelyn Tucker und der aus Hamburg gebürtige Edgar Breitenbach, der sich im Auftrag der Militärregierung intensiv der Fahndung nach den gestohlenen Gemälden aus der Sammlung Schloss widmete, scheinen im Collecting Point gut zusammengearbeitet zu haben, 1948/49 Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv
Wiltrud Mersmann und andere Experten untersuchen russisches Kulturgut in einem Depot des Collecting Point, Ende 1946
Wiltrud Mersmann und andere Experten untersuchen russisches Kulturgut in einem Depot des Collecting Point, Ende 1946 Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv
Das Atelier des Fotografen Johannes Felbermeyer im Collecting Point, Ende 1945
Das Atelier des Fotografen Johannes Felbermeyer im Collecting Point, Ende 1945 Auf dieser Aufnahme des Fotoateliers sind folgende Kunstwerke zu sehen: „Ruhender Hermes“ (Münchner Nummer 2448, Museo Nazionale Archeologico, Neapel, 1947 restituiert), Gregor Erhart, „Maria Magdalena“ („Belle Allemande“, Münchner Nummer 6666, Musée du Louvre, Paris, 1946 restituiert), Anthonis Van Dyck, „Familienporträt Cornelis de Vos“ (Münchner Nummer 5177, Sammlung Katz, heute Privatsammlung, 1945 restituiert). Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 390860
„Der letzte Renaissance-Fürst" – eine Karikatur auf den Kunstsammler Hermann Göring von Max Radler, 1946
„Der letzte Renaissance-Fürst" – eine Karikatur auf den Kunstsammler Hermann Göring von Max Radler, 1946 Quelle: Der Simpl. Kunst, Karikatur, Kritik 1 (1946), Heft 3, S. [36].
Auguste Rodin, „Die Bürger von Calais“ (Münchner Nummer 39179, heute Musée Rodin, Paris, 1946 restituiert), Oktober 1946
Auguste Rodin, „Die Bürger von Calais“ (Münchner Nummer 39179, heute Musée Rodin, Paris, 1946 restituiert), Oktober 1946 Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 390874
Gregor Erhart, „Maria Magdalena“ (Münchner Nummer 6666, Musée du Louvre, Paris)
Gregor Erhart, „Maria Magdalena“ (Münchner Nummer 6666, Musée du Louvre, Paris) Die unter der Bezeichnung „Belle Allemande“ gerühmte gotische Holzskulptur wurde 1946 an den Louvre zurückgegeben. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 101013
Atelier von Inge Löffler im CCP, 1946
Atelier von Inge Löffler im CCP, 1946 Im Atelier der Fotografin Inge Löffler standen Kunstwerke russischer Herkunft, unter anderen ein Marmorlöwe (Müchner Nummer 14026, 1947 in die UdSSR restituiert). Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv
Ausstellung „Kunstschaffen in Deutschland“, 1949
Ausstellung „Kunstschaffen in Deutschland“, 1949 Im nördlichen Lichthof des Collecting Point war 1949 die Ausstellung „Kunstschaffen in Deutschland“ zu sehen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte © Nachlass Stefan P. & Juliana Munsing

Ort

Katharina-von-Bora-Straße (ehemals Arcisstraße, später Meisterstraße) 10, 80333 München | Haus der Kulturinstitute mit öffentlichen Sammlungen und Instituten

Metadaten

Iris Lauterbach, “Der Central Collecting Point,” MunichArtToGo, accessed 25. April 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/27.