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Der Marienhof

Das Skelett einer Kuh und ein Fischkasten aus Schacht 5

Die älteste Holzbaukonstruktion Münchens diente zunächst als Brunnen, später als Latrine. Anlass für den Umbau war wohl eine Kuh, die auf ungeklärte Weise in den Brunnen geraten war und sein Wasser unbrauchbar machte. Der Schacht ist ein einzigartiges Fundensemble und gibt Auskunft über das Leben der Menschen am Marienhof.

Die umfangreichen Ausgrabungen am Marienhof in den Jahren 2011 und 2012 anlässlich des Baus der zweiten S-Bahn-Stammstrecke ermöglichten bislang unbekannte Einblicke in die Münchner Stadtgeschichte. Bevor das Stadtviertel durch Bombenangriffe der alliierten Verbände in der Nacht des 7. Januar 1945 zwischen 21.55 und 23.03 Uhr vollständig zerstört wurde, befand sich hier reges Leben mit zahlreichen Gaststätten, Wohnhäusern, Handwerksbetrieben und Geschäften. Das Viertel zählte zu den ältesten der Stadt, seine Geschichte reichte in die Zeit der Stadtgründung durch Heinrich den Löwen um 1158 zurück. Hier verlief auch der älteste Teil der mittelalterlichen Stadtmauer. Auf dem Grabungsareal fanden sich Relikte aus allen Epochen Münchens bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Zu den ältesten Bauresten dort gehören mittelalterliche Brunnen- und Latrinenschächte. In der Regel wurden sie als Brunnenschächte für die Trinkwasserversorgung errichtet und zu einem späteren Zeitpunkt aus verschiedenen Anlässen zu Latrinen umgebaut. Die darin entsorgten Gegenstände geben Auskunft über das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner Münchens seit dem Mittelalter.

Ein besonderer Vorfall ereignete sich in Schacht 5, dem spektakulärsten Schacht am Marienhof. Er befand sich auf dem Grundstück der ehemaligen Theatinerstraße 52 an der nordwestlichen Ecke des Marienhofs zur Schrammerstraße hin, gerade außerhalb der Stadtmauer. Auf dem Grund des zunächst als Brunnen erbauten Schachtes fand sich bei den Ausgrabungen das vollständige Skelett einer Kuh, die auf ungeklärte Weise dorthin geraten war, denn der Brunnen besaß mit Sicherheit eine Umfassungsmauer. War es ein Unfall? Oder heimtückische Brunnensabotage? Der Hergang wird wohl für immer ein ungelöstes Rätsel bleiben. Fest steht jedoch, dass der Brunnen mit seiner aufwändigen und kostspieligen Holzkonstruktion um diese Zeit als Wasserquelle aufgegeben werden musste und für die Unratentsorgung umfunktioniert wurde. Die Kuh wird dazu den Anlass gegeben haben, denn der Kadaver verunreinigte das Wasser, so dass es nicht mehr genießbar war.

Der Brunnen wurde 1261 oder kurz danach errichtet. Dies ergab die Jahrringuntersuchung der verbauten Hölzer, die aus dem Voralpenland stammten und im Frühsommer diesen Jahres gefällt worden waren. Bereits 1263 wurde der Brunnen jedoch mit einer zwei Meter dicken Flinzschicht verfüllt, wohl wegen des Kuhkadavers. Flinz ist ein Lehm-Sandgemisch, das natürlicherweise im Boden unter München vorkommt. Das Datum der Verfüllung konnte aus den darin befindlichen, zahlreichen Holzgegenständen erschlossen werden. Der Schacht hatte somit also gerade einmal zwei Jahre als Brunnen gedient, bevor er zu einer Latrine umfunktioniert werden musste.

Schacht 5 war ungefähr zwei auf zwei Meter breit und fünf Meter tief. Im Gegensatz zu allen anderen Brunnenschächten am Marienhof war er aufwändig mit Holzbalken verkleidet. Heute sind davon noch 47 Bohlen erhalten. Mit seiner Erbauung im Jahr 1261 ist Schacht 5 die älteste Holzbaukonstruktion Münchens.

Aus dem Inneren des Schachtes konnten viele gut erhaltene Gegenstände geborgen werden, unter anderem Holzeimer, Glasscherben und -perlen, Obstkerne, Keramik, Leder- und Textilreste, Fragmente einer Flöte aus Knochen und zwei Löffel. Besonders interessant ist der Fund eines bootsförmigen Fischkastens mit Deckel und eingebohrten Löchern, der 1449 entsorgt wurde und einen der ältesten Funde mittelalterlichen Fischereigerätes darstellt. Fischkästen wurden sowohl von Fischern, als auch von Fischhändlern zur Lebendhälterung der Tiere verwendet. Dafür wurde der wasserdurchlässige Kasten in einem der zahlreichen Stadtbäche verankert, die München durchzogen. Die gefangenen Fische wurden darin lebend gehalten, wodurch sie länger frisch und essbar blieben.

Bilder

Der aus originalen Holzbalken wiederaufgebaute Schacht 5 vom Marienhof, 2024
Der aus originalen Holzbalken wiederaufgebaute Schacht 5 vom Marienhof, 2024 Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich
Der Marienhof,  2011
Der Marienhof, 2011 Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Luftbilddokumentation, Aufnahmedatum 27.06.2011, Archiv-Nr. 7934/061, Bildnr. 1Ds67425 Erstellt von: Klaus Leidorf
Schacht 5 bei der Ausgrabung, 2011/12
Schacht 5 bei der Ausgrabung, 2011/12 Quelle: ReVe Büro für Archäologie Bamberg – München Erstellt von: Agnes Dinkel
Rekonstruiertes Skelett der Kuh aus Schacht 5, 2024
Rekonstruiertes Skelett der Kuh aus Schacht 5, 2024 Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich
Fischkasten am Fundort im Schacht 5, 2011/12
Fischkasten am Fundort im Schacht 5, 2011/12 Quelle: ReVe Büro für Archäologie Bamberg – München Erstellt von: Simone Glaß
Fischkasten aus Erlenholz (Ende 13. Jahrhundert n. Chr.), 2016
Fischkasten aus Erlenholz (Ende 13. Jahrhundert n. Chr.), 2016 Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich

Ort

Marienhof, 80333 München

Metadaten

Elke Bujok und Anna Enzensberger, “Der Marienhof,” MunichArtToGo, accessed 5. Juli 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/155.