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Das Café Deistler

Ein verschwundenes Café und seine Ausstattung

Die Erinnerungen an ein altes Stadtviertel erwachen mit Hilfe der Archäologie zu neuem Leben. Das Kaffeegeschirr des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Café Deistler berührt die Menschen bis heute.

Die meisten Münchner:innen kennen den Marienhof als große Grünfläche hinter dem Rathaus. Diese Freifläche war jedoch erst nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg entstanden. Zuvor und damit über einen langen Zeitraum hinweg hatte sich hier ein lebendiges Stadtviertel mit zahlreichen Gaststätten, Wohnhäusern und Geschäften befunden. Nach dem Abräumen der Trümmer in der Nachkriegszeit wurde der Marienhof zunächst als Parkplatz genutzt. Mit der Einrichtung der Fußgängerzone anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1972 entstand auf dem Platz eine Grünfläche als urbaner Freiraum, der auch in Zukunft nicht wieder überbaut werden sollte.

In den Jahren 2011 und 2012 fanden im Rahmen des Neubaus der S-Bahn-Stammstrecke am Marienhof umfangreiche archäologische Ausgrabungen statt, die einen unbekannten Einblick in die Münchner Stadtgeschichte ermöglichen. Da das Grabungsareal teilweise auf dem Gebiet der um 1158 von Heinrich dem Löwen gegründeten Altstadt lag, fanden sich Relikte aus allen Epochen Münchens. Zu den ältesten Bauresten gehören mittelalterliche Brunnen- und Latrinenschächte. Die Ausgrabungen am Marienhof brachten jedoch nicht nur Funde aus dem Mittelalter (500–1500 n. Chr.) zutage, sondern auch Erinnerungen an ein in den 1930er und 1940er Jahren dort betriebenes Café. Es befand sich in einem Eckhaus hin zur Schrammerstraße, genauer in der ehemaligen Dienerstraße 11. Seit 1850 war darin ein Hotel untergebracht, das ab 1872 unter dem Namen „Englischer Hof“ das Luxussegment bediente, während des Ersten Weltkrieges aber mangels Einnahmen schließen musste. In den 1930er Jahren wurde das Gebäude für Verwaltungszwecke genutzt. Untergebracht waren dort das Statistische Landesamt sowie das Versicherungsamt. Außerdem wurde dort das Café Deistler, später Café Bentenrieder genannt, betrieben. Wie leider auch das gesamte Stadtviertel Marienhof wurde das Café am 7. Januar 1945 zwischen 21.55 und 23.03 Uhr durch Bombenangriffe der alliierten Verbände vollständig zerstört.

Bei den Ausgrabungen im Keller des Eckgebäudes kamen unter anderem Reste des alten Lastenaufzugs des Cafés sowie einige Wein- und Bierflaschen, Milchkannen und Kaffeetassen zutage. Ebenfalls unter den Funden: Die Buntmetalltabletts des Cafés, die vermutlich vor den Bombenangriffen in Sicherheit gebracht worden waren und so die Zeit überlebt hatten. Eine Gravur auf der Unterseite belegt die Zugehörigkeit zum Café. Ein spontanes Gespräch mit einer interessierten Passantin zeigte den Archäolog:innen während der laufenden Ausgrabung, dass dieses Café selbst nach mehr als 60 Jahren noch nicht in Vergessenheit geraten war. Ein Blick auf die Serviertabletts weckte bei der Spaziergängerin lebhafte Erinnerungen an ihre Mutter, die einst als „Serviermadl“ im Café Deistler gearbeitet hatte.

Bilder

Der Marienhof, 2011
Der Marienhof, 2011 Ein ehemaliges Stadtviertel wird ausgegraben. Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Luftbilddokumentation, Aufnahmedatum 27.06.2011, Archiv-Nr. 7934/061, Bildnr. 1Ds67425 Erstellt von: Klaus Leidorf
Das Areal vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg
Das Areal vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Der Übersichtsplan zeigt die ursprüngliche Bebauung des heute als Marienhof bezeichneten Geländes. Während die Gruftstraße nicht mehr existiert, wurde die Schrammerstraße zur Schaffung der Freifläche nach dem Krieg leicht nach Norden verlegt. Erstellt von: Büro für Denkmalpflege, Christian Behrer
Der Marienhof, Mai 1948
Der Marienhof, Mai 1948 Die Aufnahme zeigt links die Rückseite des Neuen Rathauses, rechts im Hintergrund das Notdach der Frauenkirche. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, ZI-0823-01-194727 Erstellt von: Hans Schürer
Der Wintergarten des Hotels „Englischer Hof“ in der Dienerstraße, Postkarte um 1910
Der Wintergarten des Hotels „Englischer Hof“ in der Dienerstraße, Postkarte um 1910 Während des Ersten Weltkrieges musste das Luxushotel geschlossen werden. Die Räumlichkeiten wurden später vor allem für Verwaltungszwecke genutzt. Quelle: Stadtarchiv München, FS-PK-STB-02861
Dienerstraße, 1937
Dienerstraße, 1937 Vergangene Zeiten – Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Café Deistler in den Räumlichkeiten des ehemaligen Hotels „Englischer Hof“, Ecke Schrammerstraße/Dienerstraße. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, ZI-0991-09-00-028609 Erstellt von: Walter Müller-Grah
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12 Lediglich ein Eisengerippe blieb von dem ehemaligen Lastenaufzug im Keller des Café Deistler erhalten. Erstellt von: ReVe, Büro für Archäologie, Saskia Gresse
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12 Die enorme Hitzewirkung des Bombenangriffs vom 7. Januar 1944 zeigt sich an der Verformung dieser Weinflasche aus dem Keller des ehemaligen Café Deistler. Im Keller eines Nachbargebäudes blieben Flasche (und Rotwein!) dagegen äußerlich intakt. Erstellt von: ReVe, Büro für Archäologie, Barbara Wührer
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12 Kaffeegeschirr und Serviertabletts des 1944 zerstörten Café Deistler haben die Zerstörung des ehemaligen Stadtviertels in einem Keller überlebt. Heute sind sie Gegenstand archäologischer Forschungen. Erstellt von: Archäologische Staatssammlung, Stefanie Friedrich
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12
Die Ausgrabung am Marienhof, 2011/12 Noch deutlich ist der Schriftzug des Café Deistler auf den Serviertabletts aus den 1930er und 40er Jahren zu erkennen. Erstellt von: Archäologische Staatssammlung, Stefanie Friedrich

Ort

Ecke Schrammerstraße/Dienerstraße, 80333 München

Metadaten

Anna Enzensberger und Brigitte Haas-Gebhard, “Das Café Deistler,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 21. November 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/85.