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Die Klosterkirche St. Anna im Lehel

Fotografie als vorausschauender Denkmalschutz? Hitler als Denkmalpfleger

Eine farbige Fotografie aus dem Frühjahr 1944 zeigt die demolierte neugotische Doppelturmfassade der Klosterkirche St. Anna im Lehel nach einem Luftangriff auf die Innenstadt Münchens am 24./25. April 1944. Auf den ersten Blick zeigen sich zwar einige Schäden, die eigentliche Katastrophe bleibt diesem Blick der Kamera jedoch verborgen. Der gesamte Innenraum der frühesten Rokokokirche in München, erbaut vom Hofarchitekten Johann Michael Fischer und ausgestattet mit Fresken von Cosmas Damian Asam und Altären von Johann Baptist Straub, war vollständig zerstört. Fein säuberlich vor der Fassade zusammengekehrt, liegt der Schutt der Fresken und der übrigen Ausstattung im Sonnenlicht.

Die fast dezent wirkende Fotografie ist das letzte Bild aus einer Serie mit Farbaufnahmen, die die Fotografin Eva Bollert von der Klosterkirche im Frühjahr 1944 aufgenommen hatte. Die Anfertigung dieser Aufnahmen geschah im Auftrag und auf Kosten des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, das damit einen „Führerauftrag“, also einen direkten Befehl Adolf Hitlers, umsetzte. Der Führerauftrag Monumentalmalerei erging im Frühjahr 1943, als nach der Niederlage der deutschen Truppen bei Stalingrad auch immer mehr Städte im Deutschen Reich zum Ziel für die Luftangriffe der Alliierten wurden. Mit Hilfe des für die Olympischen Spiele in Berlin neu entwickelten Farbdiafilms der Firma Agfa sollten – so wörtlich – „im Hinblick auf die durch die feindlichen Luftangriffe hervorgerufenen Zerstörungen, …. von sämtlichen wertvollen Deckengemälden, z. B. im Schloss Würzburg, im Rathaus in Augsburg, in alten Kirchen usw. usw. Farbfotos angefertigt werden. Bisher sind durch Bombenangriffe schon viele unersetzliche Gemälde verloren gegangen, die nur schwer restauriert werden können, da von ihnen lediglich schwarz-weiß-Aufnahmen existieren“. Beteiligt war an diesem Großauftrag, der in der zweiten Jahreshälfte 1943 ins Rollen kam, fast die gesamte fotografische Elite des Deutschen Reichs. Die Fotograf:innen wurden nicht nur außerordentlich gut vom Propagandaministerium bezahlt, ein Engagement für den „Führerauftrag“ war darüber hinaus auch verbunden mit einer „Unabkömmlichkeitsstellung“ vom Kriegsdienst oder einem Einsatz in der Rüstungsindustrie.

Die fotografischen Arbeiten fanden nachts statt, ausgeleuchtet wurde mit starken Filmscheinwerfern. Unter diesen schwierigen Bedingungen fertigte Eva Bollert von den Fresken im Innenraum der Klosterkirche mehr als sechzig farbige Diapositive an. Die Folge der Fresken Cosmas Damian Asams setzte ein mit dem „Tod der Heiligen Anna“ über dem Eingang, gefolgt vom großen zentralen Deckenbild mit der „Aufnahme der Heiligen Anna in den Himmel“ und schloss mit der Darstellung der „Tugenden der Heiligen Anna“ über dem Hauptaltar. Die belichteten Diafilme mussten zur Entwicklung an die Firma Agfa gesendet werden und wurden anschließend – von den Fotografen gerahmt und beschriftet – an das Propagandaministerium in Berlin zur Abnahme gesendet.

Die Serie der Aufnahmen Eva Bollerts war wohl gerade noch rechtzeitig fertig geworden als, wie sie selber in der Rückschau berichtet, „das Kirchlein im April 1944 durch einen Luftangriff fast völlig zerstört wurde“. Heute befindet sich der größte Bestand an Aufnahmen des Führerauftrags Monumentmalerei im Depot des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, wohin sie nach mancherlei Irrwegen in den 1950er Jahren als Teil einer Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland gelangten.

Wenn man heute die Kirche durch den Eingang der rekonstruierten Barockfassade betritt, bietet sich dem Auge ein harmonisches und stimmiges Raumensemble. Allerdings beruht dieser Eindruck eines bedeutenden Rokokobaus und seiner Ausstattung weitgehend auf einer Rekonstruktion – immerhin auf der Grundlage von historischen Fotografien. Durchgesetzt wurde diese Neuschöpfung letztlich durch bürgerschaftliches Engagement – gegen den erklärten Willen des Landesamts für Denkmalpflege – und auf der Basis einer kollektiv organisierten Finanzierung durch die franziskanische Ordensgemeinschaft.

Es bleibt selbstverständlich die Frage: Was wurde durch die Rekonstruktion wiedergewonnen bzw. was ging damit endgültig verloren? Die historischen Bildquellen im ZI – im Vergleich mit dem visuellen Befund vor Ort — sind zentral für die Diskussion dieses immer noch virulenten Problems.

Bilder

Blick auf die Fassade der Klosterkirche St. Anna im Lehel, Ende April 1944
Blick auf die Fassade der Klosterkirche St. Anna im Lehel, Ende April 1944 Im Rahmen des Führerauftrags Monumentalmalerei waren Aufnahmen von Zerstörungen eigentlich verboten. Die Aufnahme von Eva Bollert ist ein seltenes Beispiel dafür, dass solche Fotos durch die Zensur des Propagandaministeriums rutschten. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, Farbdiaarchiv Erstellt von: Eva Bollert, nach 25. April 1944
Blick hinter die Fassade der Klosterkirche St. Anna im Lehel, Ende April 1944
Blick hinter die Fassade der Klosterkirche St. Anna im Lehel, Ende April 1944 Das wahrscheinlich ebenfalls von Eva Bollert aufgenommene Foto zeigt das Ausmaß der Zerstörung der Klosterkirche, die bis auf die Raumschale völlig dem mehrtägigen Brand zum Opfer fiel. Quelle: Dominik Lutz: Die Klosterkirche St. Anna in München, Dokumentation einer Rekonstruktion, Restauration, Renovation, München 1977, rückseitiger Einband. Erstellt von: Eva Bollert ?, nach 25. April 1944
Blick in den ausgebrannten Innenraum der Klosterkirche in Richtung des Hauptaltars, 1946
Blick in den ausgebrannten Innenraum der Klosterkirche in Richtung des Hauptaltars, 1946 Die Aufnahme entstand wohl nach den schon 1946 vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen zur Erhaltung der Bausubstanz u.a. durch die Errichtung einer neuen Dachkonstruktion. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, 000826 / © Bildarchiv Foto Marburg
Aufnahme des Innenraums in Richtung des Hauptaltars vor der Zerstörung Ende April 1944
Aufnahme des Innenraums in Richtung des Hauptaltars vor der Zerstörung Ende April 1944 Die Aufnahme stammt aus der Kampagne des Fotografen Martin Hamacher (gestorben 1946), der sich auf die fotografische Dokumentation von Kunst, insbesondere von Skulptur und Architektur, spezialisiert hatte. Seinen fotografischen Nachlass konnte das ZI im Jahr 2001 übernehmen. Beispiele für Aufnahmen von Martin Hamacher findet man im Internetauftritt des ZI bei Google Arts & Culture. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, ZI-0828-02-072861 Erstellt von: Martin Hamacher, vor April 1944
Führerauftrag Monumentalmalerei, 6. April 1943
Führerauftrag Monumentalmalerei, 6. April 1943 Mit diesem Schreiben an den Abteilungsleiter „Bildende Kunst (BK)“ im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda wurde die Kampagne zur farbigen Dokumentation der gefährdeten Bauten ins Rollen gebracht. Quelle: Christian Fuhrmeister, Stephan Klingen, Iris Lauterbach und Ralf Peters (Hg.): „Führerauftrag Monumentalmalerei“, eine Fotokampagne 1943–1945, Köln 2006 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, 18 ), Anhang, S. 243, Abb. 1.
Cosmas Damian Asam, Die Aufnahme der Hl. Anna in den Himmel, Hauptbild
Cosmas Damian Asam, Die Aufnahme der Hl. Anna in den Himmel, Hauptbild Das Corpus der barocken Deckenmalerei (Bd. 3.1, München 1987, S. 191ff.) deutet das Deckenbild umfassender und benennt das Thema als „Die Heilige Anna im göttlichen Heilsplan“. Zusätzlich zu dieser Gesamtaufnahme fertigte die Fotografin Eva Bollert zahlreiche Detailaufnahmen aus dem Hauptbild an. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, ZI2320_4194 Erstellt von: Eva Bollert, April 1943
Cosmas Damian Asam, „Der Tod der Hl. Anna“
Cosmas Damian Asam, „Der Tod der Hl. Anna“ Für die Gestaltung des Deckenbilds über der Orgel-Empore folgt Asam dem ikonografischen Muster, das für die Darstellung des Todes der Maria üblich war: Die unsterbliche Seele Annas hat den Körper der Verstorbenen verlassen und strebt begleitet von Engeln in den Himmel. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, ZI2320_4245 Erstellt von: Eva Bollert, April 1944
Cosmas Damian Asam, „Die Tugenden der Hl. Anna“
Cosmas Damian Asam, „Die Tugenden der Hl. Anna“ Das Deckenfresko im Chor über dem Hauptaltar versinnbildlicht in allegorischer Form die Tugenden der Kirchenpatronin. An den starken Schlagschatten, die die plastischen Elemente werfen, kann man deutlich sehen, dass diese Aufnahme nachts und mit Unterstützung starker Scheinwerfer angefertigt wurde. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, ZI2320_4249 Erstellt von: Eva Bollert, April 1944
200 DM für ein Stück Himmel
200 DM für ein Stück Himmel Für die Finanzierung der Rekonstruktion der Deckenfresken durch den Maler Karl Manninger initiierten die Franziskaner von St. Anna diese ungewöhnliche Sammelaktion. Für eine Spende von 200 DM konnten die Münchner ein persönliches Teilstück des zu rekonstruierenden Deckenfreskos stiften. Quelle: Dominik Lutz: Die Klosterkirche St. Anna in München, Dokumentation einer Rekonstruktion, Restauration, Renovation, München 1977, S. 78. Erstellt von: Sigfried Grän, 1972
Das rekonstruierte Hauptfresko, 1972
Das rekonstruierte Hauptfresko, 1972 Die Neuschöpfung der Fresken der Klosterkirche Sankt Anna auf der Grundlage der Farbdias aus dem Führerauftrag Monumentalmalerei wurde geleistet durch die Werkstatt des Kirchenmalers Karl Manninger (1912–2002). Das von seinem Sohn Gebhard Manninger erstellte Werkverzeichnis, das nur in wenigen Exemplaren existiert, kann im Zentralinstitut für Kunstgeschichte im Rara-Bereich der Bibliothek konsultiert werden. Quelle: Gebhard Manninger: Werkverzeichnis Karl Manninger (1912–2002), CD-ROM-Ausgabe, Pöcking 2013, 72Karl02-202 (Exemplar des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, Bibliothek, D2-Man 708/32(5 CD)
Zwei Signaturen, links: Karl Manninger 1972, rechts: Cosmas Damian Asam 1730
Zwei Signaturen, links: Karl Manninger 1972, rechts: Cosmas Damian Asam 1730 In der unmittelbaren Gegenüberstellung der historischen Aufnahme aus dem Führerauftrag Monumentalmalerei und der aktuellen Situation lassen sich die Unterschiede in der malerischen Gestaltung des originalen und des rekonstruierten Freskos unmittelbar ablesen. Quelle: links: Gebhard Manninger: Werkverzeichnis Karl Manninger (1912–2002), CD-ROM-Ausgabe, Pöcking 2013, 72Karl02-228 / rechts: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek/Archiv, ZI2320_4227 Erstellt von: links: Karl Manninger, 1972, rechts: Eva Bollert, 1944

Ort

St.-Anna-Straße 21, 80538 München | Die Kirche ist ganzjährig zu besichtigen.

Metadaten

Stephan Klingen, “Die Klosterkirche St. Anna im Lehel,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 21. November 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/53.