In der Ainmillerstraße wird deutlich, wie unterschiedlich der Münchner Jugendstil aussehen kann. Die Hausnummer 22 ist eine der bekanntesten Fassaden der Stadt. Direkt daneben, nicht weniger schmuckreich, wurde zur gleichen Zeit ein weiterer Prachtbau errichtet. Dessen farbliche Zurückhaltung wird mit originellen Stuckornamenten ausgeglichen, bleibt aber gestalterisch in vielerlei Hinsicht konservativ.
Mit dem konventionellen Grundriss des 1900 errichteten Hauses konnten die Architekten Eugen Hönig (1873–1945) und Karl Söldner (1871–1946) sich wohl kaum brüsten. Wie bei den meisten Jugendstilhäusern in München ist das Besondere des Gebäudes die Fassade. Mitunter um den Mietpreis zu rechtfertigen, wurde die Fassade prunkvoll und nach bauzeitlicher Mode gestaltet: Jugendstil-Ornamente finden sich überall. Doch trotzdem strotzt der Bau insgesamt nicht vor progressiver Gestaltung. Die Stuckreliefs erfüllen einen rein dekorativen Zweck und sind weitestgehend in der tektonischen Gliederung verwoben. Das steht im Gegensatz zur Tendenz um die Jahrhundertwende, dass dem Ornament zunehmend ein autonomer Charakter zugeschrieben wurde, so dass es über die bloße Zierde hinausgehen sollte.
Der Wandaufriss der vier Hauptgeschosse ist weitestgehend symmetrisch gestaltet. Dies ist eher untypisch für die Architektur des Münchner Jugendstils. Der mittige Eingang wird von einem ornamentierten Rundbogen überfangen; über diesem erhebt sich ein Erker. Im Dachgeschoss bekrönt ein Giebel die Mittelachse der Fassade, die somit nochmals hervorgehoben wird. Asymmetrie wird allein durch die beiden unterschiedlich gestalteten Balkone der linken Achse sowie den Blendbogen neben der Eingangstür erzeugt.
Die verschiedenen Fensterformen sind eine stilistische Unterbrechung der eigentlich historistischen Struktur der Fassade. Insbesondere die abgerundeten Ecken der Fenster im dritten Stock sind vom Jugendstil inspiriert. Blumenranken, an denen Früchte und schwungvolle Bänder hängen, treten dreidimensional zwischen den Fenstern hervor. An den Seiten sind ebenfalls florale Ornamente zu finden. Die leere Inschrifttafel in der Mittelachse bewegt sich stilistisch auf einem schmalen Grat zwischen energetischer Jugendstilform und neobarocker Gestalt. Im Fries wird diese Ambivalenz fortgeführt. Er ist reich ausgestaltet mit Geäst, das sich über die gesamte Hausbreite schlängelt. An den Hausecken rankt sich flächiges Blattwerk empor. Zusätzlich zu diesen floralen Ornamenten, sind zwei in einem Blätterkranz stehende Putti aus dem Stuck gearbeitet. Links und rechts daneben hockt jeweils, ebenfalls in einem Kranz, eine nackte Frauenfigur, die sich zur Mitte bzw. zu den Putti wendet – vermutlich handelt es sich hierbei um Nymphen. Eine moderne Interpretation von Triglyphen und runden Metopen begrenzt den Fries nach unten. Durch diese enorme Dekordichte steht der Fries trotz seiner Höhe im gestalterischen Fokus der Ainmillerstraße 20. Jedoch wird das Stuckrelief auch im Giebel fortgeführt. Links und rechts des mittleren Fensters sprießen Bäume empor, deren Gestalt nicht etwa durch ein architektonisches Element, sondern durch dunkleren Putz getrennt wird. Unter den vier kleinen Wandöffnungen am oberen Gebäudeabschluss wächst aus dem Blattwerk eine Groteske. Ein ähnliches Motiv findet sich wenige Meter darunter, direkt über dem Hauseingang. Eine scheinbar hämisch lachende Fratze mit knolliger Nase bewacht den Gebäudezutritt.
Grotesken sind seit der Antike beliebtes Dekorationsmotiv, das in der Renaissance gemeinsam mit antiken architektonischen Formen wiederbelebt wurde. Auch im Münchner Jugendstil, der an vielen Stellen noch in historischen Formen und Wandgliederungen verhaftet ist, finden sich die bizarren Grotesken an vielen Häuserwänden.