Eingeordnet unter Archäologie

Gräber aus der Glockenbecherzeit in Sendling

Eine Zeitreise auf den Spuren der ältesten Sendlinger

Ein Bestattungsort mit Aussicht und Grabbeigaben, die Licht auf das Leben und die Menschen einer längst vergangenen Zeit werfen.

Begeben wir uns auf eine Zeitreise in das Jahr 2474 v. Chr., in den Raum des heutigen Münchens. Dort angekommen, haben wir eine Landschaft vor uns, die von einer in der Eiszeit entstandenen Ebene geprägt und von kleinen Flüssen wie der Würm, der Isar und dem Hachinger Bach durchzogen ist. Hier wächst ein Tannen- und Buchenwald, der sich an einigen Stellen zu einer Steppe mit Heidebewuchs öffnet. Es ist möglich, dass wir in der offenen Heidelandschaft auf Siedlungen stoßen, deren Bewohner die Aufzucht von Rindern, Pferden und anderen Tieren betreiben. Sie sind Teil einer Epoche, die später als Glockenbecherkultur bekannt sein und etwa 400 Jahre andauern wird.

Irgendwann im Laufe dieser Zeit wählten die damaligen Bewohner des heutigen Sendling die natürliche Terrassenkante der Isar als letzte Ruhestätte für ihre Angehörigen. Diese zieht sich gut sichtbar durch Thalkirchen, Sendling und den Harras hindurch. Sie trennt die Bavaria von der Theresienwiese und läuft langsam an der Hackerbrücke aus. Wahrscheinlich eröffnete sich von hier aus ein erhabener Blick über die damals noch wilde Isar mit ihren zahlreichen Flusswindungen.

Dass wir heute von der Existenz dieser Siedler aus der Glockenbecherkultur wissen, ist nur den Überresten ihrer Bestattungen zu verdanken. Denn dort, wo heute die Wolfratshauser- in die Plinganserstraße mündet, wurden 1906 bei Kanalisations- und Straßenarbeiten nicht nur ein frühmittelalterlicher Friedhof, sondern auch die Gräber von mindestens sechs Personen aufgedeckt. Sie waren in Hockerlage, also mit angezogenen Beinen auf der Seite, begraben und mit Beigaben ausgestattet worden. Damals war es üblich, Männer und Frauen mit dem Blick nach Osten zur aufgehenden Sonne niederzulegen, wobei die Frauen mit dem Kopf im Süden und auf die rechte Körperseite gebettet wurden, während man die Männer mit dem Kopf im Norden und auf der linken Körperhälfte liegend bestattete. Vor allem die Grabbeigaben ermöglichen die Zuordnung zu einer Zeit früher Bewohner Sendlings. Unter anderem hatte man den Verstorbenen Dolche aus Kupfer, Eberzähne, kleine Muscheln und mehrere Keramikgefäße mit ins Grab gegeben. Gerade letztere sind wichtige Indizien dafür, dass diese Menschen zur Glockenbecherkultur gehörten, die Jahrtausende später von Archäologen nach den charakteristischen glockenförmigen Keramikgefäßen benannt wurde. Neben den Gefäßen lassen auch die Kupfergegenstände zeitliche Rückschlüsse zu, da Kupfer als Material für Waffen und Werkzeuge erst weit in der Jungsteinzeit im 4. Jahrtausend auftrat, der Epoche der ersten Ackerbauern und Viehzüchter, die in Mitteleuropa um 5500 v. Chr. begann. Bereits ab der darauffolgenden Bronzezeit ab etwa 2200 v. Chr., wurde dann jene namengebende Legierung aus Kupfer und Zinn zum dominierenden Werkstoff für Werkzeuge, Waffen und Schmuck.

Zwar nicht häufig, aber doch regelmäßig auftretend und in ihrer Form typisch für diese Zeit sind Armschutzplatten. Von ihnen wurden in den Sendlinger Gräbern mindestens zwei Stück gefunden. Sie waren aus Schiefergestein gefertigt, konnten aber auch aus Knochen bestehen und dienten beim Bogenschießen dem Schutz des Unterarms vor der zurückschnellenden Sehne. Einige Knöpfe unterschiedlicher Größe, die aus Knochen gefertigt wurden, schmückten Textilien.

Obwohl die Informationen zu den 1906 entdeckten Gräbern leider sehr dürftig sind, können wir uns doch ein Bild von den damaligen Bewohnern des Sendlinger Raums machen. Die Menschen, die am Ende der Steinzeit an der Isar lebten, züchteten Vieh und beherrschten bereits die Verarbeitung von Metall. Außerdem waren sie nicht allein, wie der Blick über das Sendlinger Gebiet hinaus zeigt. Denn auch im benachbarten Pasing, in Moosach und Freiham sowie auf der anderen Seite der Isar in Zamdorf, Trudering und Berg am Laim wurden Bestattungen aus der Glockenbecherzeit entdeckt, die auf weitere Siedlungen schließen lassen.

Bilder

Keramikgefäße in Glockenbecherform, Pfeilspitzen und Knochenknöpfe (ca. 2600–2200 v. Chr.)
Keramikgefäße in Glockenbecherform, Pfeilspitzen und Knochenknöpfe (ca. 2600–2200 v. Chr.) Quelle: Archäologische Staatssammlung München Erstellt von: Stefanie Friedrich

Ort

Wolfratshauser-/ Einmündung Plinganserstraße, 81379 München

Metadaten

Anna Enzensberger und Heiner Schwarzberg, “Gräber aus der Glockenbecherzeit in Sendling,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 16. September 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/173.