Die Pallas Athene auf der Maximiliansbrücke
Ein Bildnis der Antike im Herzen Münchens
Das Stadtbild Münchens ist geprägt von Antikenbezügen in Architektur und Bauschmuck. Bei einem Spaziergang durch die Stadt stößt man auf antikisierende Fassaden und Charaktere der antiken Mythologie. So ist die Maximiliansbrücke im Herzen Münchens mit einer kolossalen Pallas Athene geschmückt. Die Brücke verbindet Münchens Altstadt über die Maximiliansstraße mit dem Maximilianeum und dem urbanen Osten. Vielen ist die Skulptur der Pallas Athene daher schon begegnet, aber nur wenige kennen ihren Hintergrund.
Bereits vor über 100 Jahren, genauer 1906, wurde das monumentale Bildnis der Pallas Athene auf der Maximiliansbrücke geweiht. Im Rahmen des großen Münchner Brückenbauprogramms in den Jahren 1903–1905 wurde die innere Brücke unter Beibehaltung der bereits bestehenden Konstruktion auf 22 m erweitert, um das steigende Verkehrsaufkommen zu regulieren. Den bisherigen Natursteingewölben wurden Anfügungen aus Beton angesetzt und die gesamte Brücke mit Muschelkalk verkleidet. Die äußere Brücke wurde nach einem Entwurf von Friedrich von Thiersch (1852–1921) in Form zweier Dreigelenkbögen aus Muschelkalk erbaut. Die beiden Brückenteile wurden stilistisch aneinander angeglichen, indem die Brüstungen zwischen den Pfeilern eine Füllung in Form von verzweigtem Rankenwerk erhielten.
Prominent am Brückenpfeiler der äußeren Brücke treffen Passant:innen auf die Pallas Athene. Auf dem nördlichen Pfeilerkopf positioniert blickt sie gen Süden über die Isar und die Maximiliansstraße. Ursprünglich in getriebenem Kupfer gefordert, wurde sie letztlich wie die Brücke, auf der sie sich befindet, aus Muschelkalk gefertigt. Der Künstler ist Franz Drexler (1857–1933), ein niederbayerischer Bildhauer, der seit dem Erlangen des Münchner Bürger- und Heimatrechts 1888 hauptsächlich hier tätig war. Der Fokus seines Oeuvres liegt auf christlicher Kunst. Für die Maximiliansbrücke fertigte er allerdings eine antike Gottheit.
Athena, eine der zwölf olympischen Gottheiten, wird in der griechischen und römischen Antike (römisch: Minerva) besonders als Göttin der Kampfkunst und der Weisheit verehrt. Daneben wird ihr noch das Handwerk als Zuständigkeitsbereich zugeschrieben. Drexler scheint mit den antiken Darstellungen der Athena vertraut gewesen zu sein. Im Großteil ähnelt sie dem bereits in der Antike etablierten Bildkanon. Die Göttin trägt einen bodenlangen Peplos, ein typisches Frauengewand der Antike, und darüber einen Mantel. Um die Taille gegürtet und den Stoff gerafft, trugen griechische Bürgerinnen diese Kleidung, aber auch Athena wird mit diesem Gewand dargestellt. Über dem Peplos trägt sie die sogenannte Ägis, einen Brustschutz, in stilisierter Form mit Schuppen ausgestaltet. Ihre Brust ziert das Gorgoneion, das Haupt der Gorgo Medusa. Ihr Kopf mit den vier Schlangen hat eine apotropäische Funktion und hält Böses fern. Auch auf den Brustpanzern römischer Kaiser oder auf Schilden von Kriegern kann das Gorgoneion angebracht oder aufgemalt sein. Gemäß ihrer Rolle als Göttin der Kampfkunst trägt sie auf ihrem Kopf einen Helm mit prächtigem Helmbusch. In ihrer linken Hand hält sie eine Kugel, die mit einer Nike, der geflügelten Siegesgöttin, bekrönt ist. Diese wiederum hält zwei Siegeskränze in ihren Händen. Das Attribut der Nike findet sich auch in der antiken Bildkunst, wie am Beispiel der berühmten Athena Parthenos des Bildhauers Phidias.
Soweit, so antikengetreu. Folgt man der typischen Darstellungsweise einer antiken Athena, so wäre in ihrer rechten Hand eine Lanze oder ein Schild zu erwarten. Diese neuzeitliche Athena allerdings hält in dieser Hand Zweige. Auffallend individuell sind zudem die Gesichtszüge gestaltet. Mit einer zeitgemäßen Frisur – die Locken in Jugendstilmanier ornamental eingedreht – ist hier modellhaft Frieda Thiersch abgebildet, die Tochter des Konstrukteurs der Maximiliansbrücke, Friedrich von Thiersch.
Beim nächsten Besuch der Maximiliansbrücke kann die Pallas Athene nun mit anderen Augen und mit der Frage betrachtet werden, wieso eben diese Figur aus der griechischen Mythologie zum Schmuck der Brücke gewählt wurde. Sollte sie die Stadt München mit ihren wachsamen Augen im Blick behalten und mit ihrer Kampfkunst schützen? Oder reiht sie sich ein in klassizistische und neoklassizistische Werke, die den Bezug zur Antike verkörpern? Im Vergleich zum Bauschmuck anderer Isarbrücken lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die Pallas Athene mit ihrer Herkunft aus der antiken Mythologie ein Unikat ist.