Eine kreative Nachbarschaft
Franz-Joseph-Straße 2 und Leopoldstraße 21
Im dritten Stock der Franz-Joseph-Straße 2 und Leopoldstraße 21 lebten und arbeiteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Familie des Schriftstellers Thomas Mann und das Künstlerehepaar Suzanne Carvallo-Schülein und Julius Wolfgang Schülein Seite an Seite.
„[…] es ist eine schöne große Wohnung mit – 2 Wasserclosets! – ist das nicht ideal? Tommys Arbeitszimmer – sehr groß, daran K. Zimmer, dann Speisezimmer, dann 2 Schlafzimmer, weißlackierte Meubles […] In allen Zimmern kreisförmige elektr. Lustres, reizend sind die kleineren im Schlafzimmer, grünes Laub mit roten Beeren, daran hängen die elektr. Birnen“ (zit. nach Mann 1991, S. 144). Was die Mutter Julia Mann ihrem Sohn Heinrich von dessen Bruders erster Wohnung nach der Eheschließung mit Katia Mann, geborene Pringsheim, im Jahr 1905 berichtete, war pure Begeisterung. Großzügige Räumlichkeiten! Elektrizität! Moderne Möbel in Weiß! Und gleich zwei Toiletten! Das war aber auch notwendig, denn alsbald, zwischen 1905 und 1910, kamen vier Kinder zur Welt: Erika (1905), Klaus (1906), Golo (1909) und Monika (1910). Der mit „Buddenbrooks“ berühmt gewordene Schriftsteller Thomas Mann arbeitete hier unter anderem am Roman „Königliche Hoheit“ (1910) und an den Novellen „Schwere Stunde“, „Wälsungenblut“ und „Das Eisenbahnunglück“. Mit der Geburt Monikas war die Wohnung dann aber doch zu klein: Man zog um in den Münchener Herzogpark, zunächst in das Haus Mauerkircherstraße 13/II, ab Januar 1914 in das eigene Haus Poschingerstraße 1. Dort kamen noch die Kinder Elisabeth (1918) und Michael (1919) zur Welt. Gleich neben der Franz-Joseph-Straße 2, wo die Manns im dritten Stock lebten, bezog 1908 im Eckturm der Leopoldstraße 21 der jüdische Maler Julius Wolfgang Schülein sein Atelier. 1912 heiratete er die jüdische Malerin Suzanne Carvallo und teilte fortan mit ihr das Atelier. Wohnhaft waren beide in der Trautenwolfstraße 6 unweit davon. Man pflegte eine gute Nachbarschaft: „Wir waren in persönlichen Beziehungen zu Heinrich und Thomas Mann, zu Jakob Wassermann und seiner zweiten Frau Martha Karlweiss, zu Arthur Schnitzler, zu Arnold Zweig, Wolfenstein, Efraim Frisch, Wedekind, Kasimir Edschmid etc. […] Edwin Scharf […] und Paul Klee standen uns nahe“, berichtete Julius Wolfgang Schülein. Suzanne Carvallo-Schülein malte 1926 und 1930 Bildnisse von Elisabeth und Katia Mann. Anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur zeichnete sie ein Porträt von Thomas Mann. Doch neben Nachbarschaft und Bekanntschaft hatte man noch eine Gemeinsamkeit: Beide Familien, die Manns und die Schüleins, gingen schon 1933 ins Exil. Das jüdische Maler-Ehepaar floh im April vor Antisemitismus und Verfolgung als „entartete“ Künstler, der Schriftsteller kehrte von einer Auslandsreise nicht zurück, als in München zu Ostern gegen ihn eine lebensbedrohliche Kampagne in Folge seiner Rede „Leiden und Größe Richard Wagners“ inszeniert wurde, die in einen „Schutzhaft“-Befehl der Bayerischen Politischen Polizei unter Reinhard Heydrich mündete. Die oben erwähnten Porträts der drei Manns haben die Wege ins Exil, nach Princeton und New York, mitgemacht. Das Haus Franz-Joseph-Straße 2 wurde am 13. Juli 1944 bei einem Luftangriff zerstört. Nach dem Krieg kaufte die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank die Ruine. 1954 erfolgte der Neubau zum Gästehaus der Bank. Das direkt anschließende Haus Leopoldstraße 21 überstand die Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Neubau des Nachbarhauses 1954 wurde es unter dem Architekten Alois Grill an dieses formal angepasst, der Eckturm entfernt. 2016, nach Verkauf durch die HypoVereinsbank, entstand unter Blaumoser Architekten, Starnberg, in einem Umbau die heutige Form beider Häuser.