Völlig überraschend wurde im Frühjahr 2014 ein Brandgrab aus der späten Bronzezeit (1300–800 v. Chr.) im Apothekenhof der Münchner Residenz entdeckt, das zeigt, dass sich hier in der Vorzeit ein großer Friedhof befunden hat.
1255 verlegte Herzog Ludwig II. von Bayern aus der Familie der Wittelsbacher seinen Regierungssitz von Landshut nach München, wo er zunächst den Alten Hof erbauen ließ. 1385 wurde die Neuveste als Wasserburg nördlich des Alten Hofes errichtet und sollte den Wittelsbachern als Fluchtburg dienen. Ab dem 15. Jahrhundert baute man die Neuveste immer weiter aus, im 16. Jahrhundert wurde sie zur Residenz und damit zum Hauptsitz der Wittelsbacher.
Bauarbeiten an und in der Residenz werden heute immer von Archäolog:innen begleitet. So wurde im Frühjahr 2014 überraschend ein Brandstreuungsgrab im Apothekenhof entdeckt. Dabei handelt es sich um eine Bestattungsart, bei der die verstorbene Person verbrannt, die Asche aufgesammelt und anschließend in ein ausgehobenes Grab gestreut wurde.
Auf einer Seite der Grabgrube fand man verzierte Keramikscherben, von denen einige Brandspuren aufweisen. Diese verkohlten Stellen deuten darauf hin, dass einige Gefäße offenbar zusammen mit der Toten auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren. Außerdem konnte man Holzkohle, einen Pfriem, eine Tülle, ein Messer und zwei Vasenkopfnadeln, alle aus Bronze, bergen.
Bei einem Pfriem handelt es sich um ein Werkzeug, das zum Bohren von Löchern und zu ihrer Erweiterung diente. Es fand vor allem bei der Verarbeitung von Leder Anwendung, aus dem man beispielsweise Kleidungsstücke und Schuhe fertigte. Vasenkopfnadeln sind Schmuckstücke, die genutzt wurden, um Kleidung zu verschließen, Kopftücher oder Hauben und Frisuren festzustecken. Sie waren kostbare Gegenstände, ihren Namen verdanken sie der Form ihres Endes, das wie eine kleine Blumenvase gestaltet ist. Eine der beiden Nadeln war, genau wie die Keramik, zusammen mit der Verstorbenen verbrannt worden und zerbrochen. Die andere hatte man unversehrt als Beigabe in das Grab gelegt. Auf der anderen Grubenseite waren ein paar große und kleine Keramikgefäße deponiert worden und in der Grubenmitte hatte man die Asche der Verstobenen verstreut.
Anthropologische Analysen erbrachten, dass es sich bei der Verstorbenen um eine zierliche Frau gehandelt haben muss, die im Alter zwischen 40 und 60 Jahren verstorben war. Sie hat irgendwann zwischen 1300 und 800 v. Chr. gelebt. Diese Epoche in der späten Bronzezeit wird auch Urnenfelderzeit genannt, da man in ihr die Toten verbrannte und ihre Asche in Urnen auf großen Friedhöfen beisetzte. Es scheint so, dass die Frau in einer Zeitphase lebte, als die vorhergehende, alte Tradition der Körperbestattung langsam aufgegeben wurde und die neue Bestattungsart der Urnenfelderkultur Einzug hielt, wahrscheinlich zwischen 1300 und 1200 v. Chr. Zum einen hatte man die Frau zwar verbrannt, aber noch nicht in einer Urne beigesetzt. Zum anderen war die Grabgrube, in der ihre Asche verstreut worden war, mit einer Länge von 2,70 m und einer Breite von 1,10 m so groß, dass eine Körperbestattung hineingepasst hätte.
Obwohl das Grab der „ältesten Münchnerin“ bisher das einzige ist, das in der Münchner Altstadt gefunden wurde, gibt es einige bekannte Grabstätten aus der Urnenfelderzeit, die sich in den heutigen Stadtteilen Harlaching, Englschalking, Moosach oder Unter- und Obermenzing befinden. Sicherlich war auch die „älteste Münchnerin“ nicht als einzige im Bereich der späteren Residenz bestattet worden. Vermutlich gingen zahlreiche weitere Gräber in Folge der starken Bautätigkeit im Zentrum der Stadt ab der Stadtgründung 1158 unbeobachtet verloren. Die Funde aus dem Grab der „ältesten Münchnerin“ aber können ab Frühjahr 2024 in der Archäologischen Staatssammlung besichtigt werden.