Das Hildebrand-Haus
Von der Künstlervilla zum „Literarischen Gedächtnis der Stadt“
Auf dem Isarhochufer in der Maria-Theresia-Straße steht eine Reihe großbürgerlicher Villen. 1898 zog Adolf von Hildebrand (1847–1921) mit seiner Familie in das nach seinen Entwürfen errichtete Anwesen Maria-Theresia-Straße 23. Nach einer wechselvollen Geschichte ist die Villa heute Sitz der Monacensia.
Adolf von Hildebrand gilt als einer der bedeutendsten neoklassizistischen Bildhauer. Das Stadtbild Münchens prägte er durch den Wittelsbacher Brunnen am Maximiliansplatz, den Vater-Rhein-Brunnen an der Ludwigsbrücke, das Reiterstandbild des Prinzregenten Luitpold vor dem Bayerischen Nationalmuseum und den Hubertusbrunnen am Ende des Nymphenburger Kanals.
Hildebrand studierte in München bei dem Bildhauer Caspar Zumbusch, lernte in Italien den Maler Hans von Marées kennen, später auch den Kunsttheoretiker und -mäzen Konrad Fiedler. Es entwickelten sich intensive Künstlerfreundschaften und ein Netzwerk von Künstlern und Kunstliebhabern. Viele Jahre lebte der Bildhauer mit seiner Familie in Italien und verbrachte auch während seiner Münchner Zeit den Winter in seinem Domizil San Francesco in Florenz oder in dem von ihm entworfenen Ferienhaus in Forte dei Marmi.
Ein Umzug in die Kunstmetropole eröffnete ihm eine zweite Karriere mit prestigeträchtigen Aufträgen. 1891, als München zum Abschluss der Arbeiten für die städtische Wasserversorgung einen Monumentalbrunnen am Maximiliansplatz errichten lassen wollte, entschied man sich für den Entwurf von Hildebrand. Mit dem Honorar von 15.000 Mark konnte er in dem noch neuen Stadtteil Bogenhausen das Atelier- und Wohnhaus mit 2000 qm Grundfläche erbauen lassen.
Hildebrand wurde vielfach geehrt, in die Monumentalbaukommission gewählt, erhielt den Adelstitel und stand in engem Kontakt mit dem Königshaus. 1906 erhielt er einen Ruf an die Akademie der Bildenden Künste München, gab die Professur aber 1910 nach einem leichten Schlaganfall auf.
Die Ausstattung des Hildebrand-Hauses unterschied sich stark von der sinnlich-dekorativen Pracht der Villa Lenbach oder der sakralen Symbolwelt der Villa Stuck. Stattdessen herrschten Klarheit und Sachlichkeit vor; dekorative Verkleidung sowie Empfangs- und Repräsentationsräume fehlten, nur wenige Bilder von Marées und Hildebrand selbst wurden aufgehängt. Mit seiner Frau Irene führte Adolf von Hildebrand einen weltoffenen Salon. Die Schriftstellerinnen Annette Kolb und Isolde Kurz gehörten ebenso zu den Gästen wie Kronprinz Rupprecht von Bayern, der Reformpädagoge Georg Kerschensteiner, Cosima Wagner, der Dirigent Wilhelm Furtwängler, der Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen, Richard Strauss und viele andere.
Nach Hildebrands Tod 1921 setzten seine Kinder Dietrich und Irene die Tradition einer geistigen Begegnungsstätte fort. Doch Dietrich emigrierte 1933 und Irenes Familie konnte den Unterhalt des großen Hauses nicht länger finanzieren. Am 25. September 1934 erwarb die als jüdisch verfolgte Schriftstellerin Elisabeth Braun das Hildebrand-Haus. Sie war 1920 zur Evangelisch-Lutherischen Kirche konvertiert. Zwischen 1937 und 1941 nahm Elisabeth Braun rund 15 „nicht arisch“ Verfolgte, vor allem alleinstehende Frauen, auf, um sie vor dem NS-Regime zu schützen. In ihrem Testament vom 21. Juni 1940 bestimmte die Schriftstellerin die Evangelische Landeskirche als Erbin des Hildebrand-Hauses, um diese Nutzung weiterhin zu ermöglichen. 1941 wurde Elisabeth Braun nach Kaunas deportiert und ermordet. Ihr komplettes Vermögen konfiszierte der deutsche Staat und vertrieb die „nicht arischen“ Bewohner:innen.
1965 verkaufte die Evangelisch-Lutherische Landeskirche das Anwesen für 700.000 DM an einen Bauunternehmer. Trotz fehlender Denkmalschutzgesetze konnte 1970 der Abriss verhindert werden. Das daraufhin 1973 erlassene Bayerische Denkmalschutzgesetz ging als „Lex Hildebrand“ in die Geschichte ein. 1974 erwarb die Stadt das unter Denkmalschutz gestellte Haus und sanierte es. Heute hat die Monacensia, „das literarische Gedächtnis der Stadt München“, ihren Sitz im Hildebrand-Haus. Als Teil der Münchner Stadtbibliothek verfügt sie auch über ein Literaturarchiv mit Nach- und Vorlässen von Münchner Schriftsteller:innen. Wechselnde Ausstellungen zum Münchner literarischen Leben und die ruhige Lage hoch über der Isar machen das Haus zu einer attraktiven Alternative zu den innerstädtischen Kulturzentren.