Das Mietshaus Leopoldstraße 77
Ein Jugendstil-Prachtgiebel in Schwabing
Seit 1903 ziert dieses bekannte Jugendstil-Gebäude den belebten Verkehrsknotenpunkt Münchner Freiheit in Schwabing. Der Architekt Martin Dülfer (1859–1942) hat bis zu seinem Ruf 1906 als Professor für das Entwerfen von Hochbauten an die Technische Hochschule Dresden selbst in diesem Haus gelebt. Ein besonderes architektonisches Highlight ist der asymmetrische Giebel und die Farbenpracht des Hauses.
Bei einem Stadtspaziergang durch die Maxvorstadt oder Schwabing lassen sich einige Jugendstilhäuser finden, die von Martin Dülfer erbaut wurden. Der Architekt prägte das Münchner Stadtbild um 1900. Er schuf eine neuartige Formensprache, die sich durch eine vielseitige Farbpalette und vor allem die reduzierte Verwendung von historisierenden Elementen auf der Bauoberfläche auszeichnet. Diese setzte er frei zusammen und löste sich damit von klassischen (und klassizistischen) Vorbildern, die stets eine strenge, geometrische Ordnung aufwiesen. Die Fassade der Leopoldstraße 77 ist daher nicht nur Paradebeispiel der Münchner Jugendstilarchitektur, sondern zeigt auch hervorragend die individuelle Handschrift des Architekten.
Das große Mietshaus besitzt vier Etagen sowie ein Dachgeschoss. Es wurde 1964 umgebaut und besaß damals eine blanke Bauoberfläche, die mittlerweile jedoch wieder nach Vorbild der Entwurfszeichnungen rekonstruiert wurde. Das Ecktürmchen und der sich nach Norden vergrößernde Giebel bringen eine rahmende Struktur in den Baukörper. Die Zunahme der Baumasse am Giebel verläuft äquivalent zur leichten Steigung der Straße nach Norden. Irritation ruft das abrupte Ende des Giebels auf der rechten Seite hervor, der durch das Nachbarhaus abgeschnitten wird. Dennoch ergibt sich insgesamt ein harmonisches Gesamtbild der Fassade.
Grund dafür ist hauptsächlich die Ornamentik. Sie verleiht der asymmetrischen Fassade eine gewisse Grundordnung und bietet kunstvolle Orientierungslinien zur optischen Erschließung der Fassade. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die an Pilaster erinnernden Flächen zwischen den Fenstern. Pilaster sind ein bekanntes Architekturelement, die eine Fassade senkrecht strukturieren. Dazu gehören in diesem Fall die verschiedenförmigen Bäume auf Sockeln und der an Kapitelle erinnernde Ornamentfries. Diese Abkehr von klassischen Kapitellen oder Sockeln, etwa nach vitruvianischer Ordnung, ist Zeugnis der Münchner Jugendstilarchitektur; ebenso das verschlungene, an Blätter erinnernde Ornament auf blauem Hintergrund unter dem Dach und auf dem Giebel, dessen Flächigkeit, dynamische Gestaltung aber auch Referenz auf die Natur als Vorbild typisch für den Münchner Jugendstil sind. Es scheint fast so, als würden die rankenden Blätter den Schweifgiebel nach oben drücken. Dülfer platzierte solche neuen Formen gezielt und gemäßigt und kreierte damit eine moderne, zugleich lebendige und strukturiert wirkende Fassade.