Das Paketzustellamt an der Arnulfstraße ist ein repräsentatives Beispiel für den Kerngedanken des Neuen Bauens, die Ästhetik eines Gebäudes aus seiner Funktion entstehen zu lassen. Herausragendes Merkmal des Gebäudeensembles, welches sich nach außen traditionell gab, war die Verteilerhalle mit hoher Glaskuppel im Inneren.
Erbaut zwischen 1924 und 1927 von Walther Schmidt (1899–1993), Robert Vorhoelzer (1884–1954) und Franz Holzhammer (1893–1958) wurde der Gebäudekomplex für das maschinelle Sortieren und Verteilen der Post realisiert. Die Anlage wurde in Deutschland nach einem gemeinsamen Patent der Berliner Firma Mix & Genest und des Reichspostministeriums entwickelt und war eine Reaktion auf die Notwendigkeit, die Räumlichkeiten der bayerischen Post auszubauen. Das stark gewachsene Aufkommen von Paketsendungen und das Wachstum Münchens (in der Stadt lebten inzwischen über 700.000 Menschen) erforderten zusätzliche Gebäude und Standorte. Das neue Paketzustellamt war für alle Stadtteile links der Isar zuständig und nahm ein Gelände von 23.000 Quadratmetern ein. Die Lage garantierte die logistisch wichtige unmittelbare Nähe zur Bahn sowie zur Oberpostdirektion.
Die neobarocke zweistöckige Fassade an der Arnulfstraße beherbergte Werkstätten, Büroräume und Hallen. Erst hinter dem Einfahrtstor, im Osten der Anlage, befindet sich das modernistische Gebäude. Der Rundbau mit 52 Metern Durchmesser besitzt eine von acht pilzförmigen Säulen getragene Eisenbetondecke mit aufgesetztem Glastambour zur Beleuchtung der Halle. Die Verteilerturbine, an der bis zu zwölf Personen gleichzeitig arbeiten konnten, bestand aus verschiedenen Maschinen, einem Labyrinth aus Förderbändern und Rutschen. „Betrieb, Maschine und Haus sind zur Einheit verschmolzen“, kommentierte der ausführende Architekt Walther Schmidt (zit. nach Blohm / Nerdinger 1994, S. 114).
Die starke Diskrepanz zwischen den von außen sichtbaren und den im Inneren verborgenen Gebäudeteilen zeigt, dass die öffentliche Präsentation moderner Architektur mit ihrem Fokus auf Rationalisierung, das Maschinelle und einer Ästhetisierung der Betriebsabläufe im Sinne eines „form follows function“ im konservativen München noch nicht selbstverständlich war. Aber auch im Kontext der anderen Bauten der sogenannten Postbauschule in München ist der Rundbau des Paketzustellamts besonders hervorzuheben – denn die Betriebsabläufe waren weniger auf Menschen angewiesen als auf Verteilermaschinen. Damit verbunden war allerdings eine komplette Negierung von Flexibilität und Individualität. Dieser Umstand war es auch, welcher der weiteren Nutzung des Gebäudes zum Verhängnis wurde.
Das neue Paketzustellamt – der sogenannte „Paketdom“ – der zwischen 1965 und 1969 an der Arnulfstraße 195 errichtet wurde, löste das alte Gebäude zunehmend ab. Bis 1972 blieb die Paketverteilung noch in Betrieb, danach diente das Gebäude vorwiegend als Lagerraum. 1985 wurde das Paketzustellamt durch Fridolin Christen und Franz Stauda saniert – unter seinem Dach befanden sich dann eine Mensa und eine Bibliothek. Später fand die Halle Verwendung für Veranstaltungen unterschiedlicher Art.
2006 rief die Stadt München dazu auf, neue und nachhaltigere Nutzungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Voraussetzungen waren der Erhalt des Charakters der Gesamtanlage und eine Mischung aus gewerblicher Nutzung (wie Büros und Ateliers) und Wohnungen. Nach mehreren Verhandlungen ging das Gelände an die Firma Google, die dort ihre Münchner Filiale weiter ausbaut, welche bereits über 1.200 Arbeitsplätze in München verfügt.
Die von Walther Schmidt beabsichtigte „Versöhnung des Technischen mit dem Menschlichen“ (zit. nach Aicher / Drepper 1990, S. 193) hätte damit eine neue Wendung nehmen können – neben 1.500 zusätzlichen Arbeitsplätzen lässt sich in den Plänen der Firma allerdings keine Spur mehr von neuem Wohnraum finden. Dafür soll die hochmoderne Halle im Innenhof des Amtes zu einer Eventlocation umgebaut werden – und damit auch für Außenstehende zugänglich sein. Die Fertigstellung des Umbaus ist zum Ende des Jahres 2023 geplant.