Eingeordnet unter Kunst am Bau

U-Bahn-Entlüftungsschacht am Stachus

Künstlerisch gestaltet von Günter Fruhtrunk

Nur einen Katzensprung von der vielbefahrenen und -besuchten Sonnenstraße findet sich an der Herzog-Wilhelm-Straße Ecke Herzogspitalstraße für alle Begeisterten der Konkreten Kunst eine kleine architektonische Überraschung. Im Sommer oft zu großen Teilen von Laub verdeckt, ragt neben der Pizzeria „Bella Italia“ ein fensterloser oktogonaler Turm gen Himmel. Es handelt sich um einen Lüftungsschacht des darunterliegenden U-Bahntunnelsystems zwischen Karlsplatz/Stachus und Sendlinger Tor. Gebaut von Paolo Nestler (1920–2010), die Ummantelung gestaltet vom Münchner Maler und Grafiker Günter Fruhtrunk (1923–1982).

Günter Fruhtrunk begann 1941 an der Staatsbauschule München ein Architekturstudium, wurde allerdings noch im selben Jahr zum Reichsarbeitsdienst nach Polen eingezogen und geriet 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg wandte sich Günter Fruhtrunk der Kunst zu, lernte bis 1950 beim Maler William Straube (1871–1954) und pflegte Kontakte mit Künstlern wie Fernand Léger, Julius Bissier, Willi Baumeister und Hans Arp. Nach Stationen in Freiburg i. Br. und Paris übernahm er 1970 die Professur für Malerei und Graphik an der Akademie der Bildenden Künste in München.

Seine wohl populärste Arbeit soll er seinen Student:innen 1970 mit den vielzitierten Worten „Ich habe gesündigt“ (Ausst.-Kat. Ludwigshafen 2011, S. 12) beschämt gestanden und als Strafgeld 400 DM in die Klassenkasse entrichtet haben. Es handelte sich um die Ausführung einer Auftragsarbeit für ALDI Nord, der Gestaltung der allseits bekannten blau-weißen Einkaufstüte. Vielleicht lässt sich diese der Oral History zuzuordnende Überlieferung dieser Aussage Fruhtrunks als eine Abneigung gegenüber dem Aspekt der Einbettung seines Werkes in massenhaft reproduzierbares Produktdesign oder vielleicht auch als Äußerung eines ambivalenten Erfolgsgefühls verstehen. Das Design der Einkaufstüte, seit 2018 mit der Neueinführung der Einkaufstasche als Mehrwegtasche formattechnisch verändert, bleibt bis heute ikonisch. 2020 brachten der Schauspieler Lars Eidinger und der Designer Philipp Bree eine Tasche auf den Markt, nicht zuletzt aufgrund der Werbekampagne kontrovers rezipiert, gedacht als eine Hommage an Günter Fruhtrunk. In limitierter Stückzahl für je 550 Euro. ALDI selbst bracht 2020 und 2021 die von dem gelernten Erkennungsmerkmal der diagonal kombinierten blauen und weißen Streifen plus dem markant gestalteten „A“ dominierte Modekollektion „Aldi-Original“ heraus.

Die Farbgestaltung der Ummantelung des Entlüftungsschachts von 1971 war eine Zusammenarbeit mit dem Münchner Architekten Paolo Nestler, seit 1959 Professor für Raumgestaltung und seit 1968 Präsident der Akademie der Künste in München. Zwischen 1971 und 1997 gestaltete Paolo Nestler insgesamt 12 Bahnhöfe der neuen Münchner U-Bahn, davon elf – inzwischen teilweise modernisiert – auf der Gründungslinie U6 (Nordfriedhof, Dietlindenstraße, Münchner Freiheit, Giselastraße, Universität, Odeonsplatz, Sendlinger Tor, Goetheplatz, Implerstraße, Harras, Klinikum Großhadern).

Für das Konzept der Farbgestaltung entstanden mehrere Vorstudien und Modelle, eines erhalten in den Beständen der Städtischen Galerie im Lenbachhaus (Invnr.: G 15937 a-d) in München, welche im Jahr 1973 eine Ausstellung mit Fruhtrunks Bildern aus dem Zeitraum 1952–1972 ausrichtete. Die Arbeit ist in das Spätwerk Fruhtrunks der 1970er und 1980er Jahre einzuordnen, eine ähnliche Farbkombination und der Rhythmus der horizontal ausgerichteten Streifenfolge ist in seinen Arbeiten „Parameter“, 1969 (Werkverzeichnis der Serigraphien 2016, 40), „Parameter II“, 1971 (WVZ 2016, 50), „Rote Horizontale“, 1968-70 (Werkverzeichnis der Bilder 2018, 561/562/596), „Composizione, 1969 (WVZ 2018, 579) zu finden. Für die Farbgestaltung des Lüftungsschachts wurde Fruhtrunk 1977 mit dem ersten Preis auf der „Constructa“ in Hannover ausgezeichnet.

Bilder

Günter Fruhtrunks Ummantelung eines U-Bahn-Entlüftungsschachts, 2022
Günter Fruhtrunks Ummantelung eines U-Bahn-Entlüftungsschachts, 2022 Erstellt von: Sonja Nakagawa
U-Bahn-Entlüftungsschacht Herzog-Wilhelm-Straße Ecke Herzogspitalstraße, 2022
U-Bahn-Entlüftungsschacht Herzog-Wilhelm-Straße Ecke Herzogspitalstraße, 2022 Der Lüftungsschacht des darunterliegenden U-Bahntunnelsystems zwischen Karlsplatz/Stachus und Sendlinger Tor wurde von Paolo Nestler (1920–2010) gebaut, die Ummantelung vom Münchner Maler und Grafiker Günter Fruhtrunk (1923–1982) gestaltet. Die Farbkombination und -abfolge der Seite zur Herzog-Wilhelm-Straße gleicht Fruhtrunks Serigraphie „Parameter“ von 1969 (Werkverzeichnis der Serigraphien, 2016, 40). Erstellt von: Sonja Nakagawa
„Aldi Original“ / Fashion Kollektion ALDI Nord 2020
„Aldi Original“ / Fashion Kollektion ALDI Nord 2020 Günter Fruhtrunk gestaltete 1970 das Design der Plastiktüte für ALDI Nord. In diesem inzwischen ikonischen und mit ALDI Nord untrennbar verbundenen Design brachte ALDI Nord 2020 und 2021 die von dem gelernten Erkennungsmerkmal der diagonal kombinierten blauen und weißen Streifen plus dem markant gestalteten „A“ dominierte Modekollektion „Aldi-Original“ heraus. Erstellt von: © ALDI Nord

Ort

Herzog Wilhelm-Straße 8 | öffentlich zugänglich

Metadaten

Sonja Nakagawa, “U-Bahn-Entlüftungsschacht am Stachus,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 3. Dezember 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/30.