
Der Chinesische Turm, von den Münchnern liebevoll ‚Chinaturm‘ genannt, ist seit seiner Eröffnung gemeinsam mit der angrenzenden Gastwirtschaft der gesellschaftliche Mittelpunkt des Englischen Gartens. Sein wahrzeichenhafter Charakter lässt diese Schauarchitektur, zusammen mit dem Monopteros, schnell sinnbildlich vor das Auge treten, wenn ein Münchner an den Englischen Garten denkt.
Der markante Chinesische Turm erhebt sich im Kern des Englischen Gartens in Gestalt eines 25 Meter hohen polygonalen Holzturms. Der Turm verjüngt sich über fünf Etagen stetig von einem Deckendurchmesser von 19 Metern im Erdgeschoss auf 6 Meter im obersten Geschoss. Im Stil einer chinesischen Pagode sind die Schindeldächer um die Etagen geschwungen und vergoldete Glocken hängen in jeder Etage in der Traufe. Eine zentrale Wendeltreppe verbindet die einzelnen Etagen, die ursprünglich als Rundum-Aussichtsplattformen für Besucher konzipiert wurden, die, wenn sie noch zugänglich wären, einen weiten Blick auf den Englischen Garten ermöglichen würden.
Um den Hintergrund des Turmes genauer zu erfassen, muss ein kleiner Ausflug in die Geschichte der Gartenbaukunst gewagt werden, insbesondere in den Transfer englischer Gartenbaukunst auf deutsche Gärten, um die Zeit, als der Englische Garten seinen Ursprung fand.
Im 18. Jahrhundert dominierten in ganz Deutschland barocke Gärten im französischen Stil. Zur gleichen Zeit entstand in England als Gegenentwurf der Landschaftsgartenstil, der die strenge Symmetrie barocker Anlagen ablehnte. Eine ‚naturnahe‘ Gestaltungsform sollte die freiheitlichen Gesellschaftsideale der sich anbahnenden Aufklärung symbolisieren.
Diese Gartenreform erreichte gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch Deutschland. Als Kurfürst Carl Theodor 1789 ein Dekret erließ, eine öffentlich zugängliche Gartenanlage auf Initiative seines Ministers, dem Amerikaner Sir Benjamin Thompson, später Graf von Rumford, zur Erholung der allgemeinen Bevölkerung zu errichten, lag der Sturm auf die Bastille ein paar Wochen zurück. Der aufgeklärte Sir Thompson setzte sich bewusst ein, die Parkanlage daher im Stil der in England entwickelten Gartenform ‚Landschaftsgarten’ gestalten zu lassen, um Assoziation mit fürstlicher Unterdrückung zu vermeiden.
Friedrich Ludwig Sckell, der Landschaftsgartenkunst in England studiert hatte, wurde von Kurfürst Carl Theodor als Berater hinzugezogen. Ein Vorbild für Sckell war Sir William Chambers, der die königlichen Gärten von Kew bei London gestaltete. Chambers passte die Formsprache des Landschaftsgartens an höfische Anforderungen an und setzte gezielt auf künstliche Gestaltungselemente. Besonders die chinesischen Kaisergärten dienten ihm dabei als Inspiration, was sich in einem allgemeinen Trend zur Chinoiserie widerspiegelte, die sich zu dieser Zeit in England, durch die Handelsbeziehungen zu China ausgelöst, verbreitete.
Dieses Vorbild wurde direkt auf den Englischen Garten in München übertragen, der zunächst teilweise noch dem Kurfürsten als privater Rückzugsort diente. So führte die englische Nachbildung einer chinesischen Pagode im Kew Garden zu einer lokalen Nachahmung dieser englisch interpretierten chinesischen Architektur mithilfe traditioneller bayerischer Zimmermannskunst.
Die Zerstörung des Turmes im Zweiten Weltkrieg versammelte die Münchner Bevölkerung wieder zugunsten des Turmes. Der Turm war den Münchnern über zwei Jahrhunderte so sehr ans Herz gewachsen, dass für den am 12. Juli 1950 gegründeten Verein „Wiederaufbau des chinesischen Turmes“ kein Zweifel bestand, den Turm originalgetreu wieder herzurichten. 1952 wurde dann eine originalgetreue Kopie des Turmes wieder aufgebaut.
Es ist vielleicht nicht zu weit hergeholt zu sagen, dass der chinesische Turm ein lebendiges Symbol für die Münchner Lebensfreude ist– eine Stätte, die die Geselligkeit feiert und im Herzen der Stadt weiterleben lässt.
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