Am Bahnhof Allach-Untermenzing
Ein keltisches Schwert aus einem baiuvarischen Friedhof
Ein Bestattungsort mit jahrhundertealter Tradition, ein keltisches Grab unter Baiuvaren und ein Schwert, das bis heute Fragen aufwirft und seine Geheimnisse hütet.
Nahe des heutigen Bahnhofs Allach-Untermenzing begab sich vor etwa 2400 Jahren ein Mensch auf seine letzte Reise. Als 850 Jahre später, im frühen Mittelalter, an genau dieser Stelle wieder eine lokale Bevölkerung ihre Toten zur letzten Ruhe bettete, war sein Grab freilich schon längst vergessen.
1891 stieß man beim Kiesabbau auf jene Gräber des Frühmittelalters und barg sie in den folgenden Jahren. Als die letzten Bestattungen aufgedeckt waren, hatte man insgesamt 357 Gräber gefunden, von denen die meisten ins 6. bis 8. Jahrhundert n. Chr. datieren. In dieser Zeit war es üblich, die Gräber sehr geordnet in parallelen Reihen anzulegen, so dass sogenannte Reihengräberfelder entstanden. Die Baiuvaren jener Zeit bestatteten ihre Verstorbenen auf dem Rücken liegend, mit dem Kopf im Westen, nach Osten in Richtung Sonnenaufgang blickend.
Neben diesen baiuvarischen Gräbern des Frühmittelalters fand man auch die Grablege des Toten aus der Frühlatènezeit, der im Zeitraum zwischen 450 und 250 v. Chr., dem letzten Abschnitt der vorrömischen Eisenzeit, bestattet worden war. Aus diesem Grab 193 barg man neben einigen Knochen und einem Pferdezahn ein eisernes Schwert samt Blechscheide. Mit einer Länge von 51,5 Zentimetern gehört das zweischneidige Schwert zu den sogenannten ‚Kurzschwertern‘. Die hölzernen Griffschalen, die einst die stabförmige Griffangel umschlossen, sind in den Jahrhunderten der Bodenlagerung vergangen. Bei genauer Betrachtung fiel den Archäologen eine Besonderheit an der Schwertklinge direkt unterhalb des glockenförmig geschweiften Heftes auf, das den Griff zur scharfen Klinge hin abschloss. Hier zeigten sich Verzierungen in Form von Intarsien, die mit Gold eingelegt waren. Nach gründlicher Restaurierung sind die glänzenden Zeichen, die sich ehemals klar von der einstmals silbern glänzenden Stahlklinge abhoben, recht deutlich erkennbar: Auf der Vorderseite befindet sich eine Scheibe, unter der fünf winzige Punkte räumlich verteilt angeordnet sind. Ein senkrechter Strich trennt die Scheibe von einem nach rechts offenen Sichelsymbol. Die Rückseite zeigt einen Kreis, in dessen Mitte sich eine sogenannte Triskele befindet, ein Symbol aus drei C-förmigen Linien, die in der Mitte ihren gemeinsamen Ausgangspunkt haben. Daneben ist eine Bogenform mit kugelförmigen Enden eingelassen. Zu Lebzeiten des Verstorbenen war die Bedeutung der Zeichen sicherlich allgemein bekannt, dieses Wissen ist allerdings im Laufe der Zeit verloren gegangen. So gaben die Symbole seit ihrer Entdeckung den Forschern zunächst Rätsel auf, lassen sich aber durch kulturhistorische Vergleiche mittlerweile recht gut entschlüsseln.
Vermutlich zeigt die Vorderseite jene Himmelskörper, die mit bloßem Auge sichtbar über den Tag- und Nachthimmel wandern. Neben den prägnanten Darstellungen der Sonnenscheibe und der Mondsichel dürften die winzig kleinen Pünktchen – ganz der astronomischen Beobachtungsrealität entsprechend – Merkur, Mars, Venus, Jupiter und Saturn darstellen. Eine andere Deutung sieht in ihnen das Abbild der Plejaden, die als Sternhaufen im astronomischen Zyklus die regelhafte Wiederkehr landwirtschaftlicher Termine anzeigten.
Die Bilder der Rückseite sind weniger klar zu interpretieren. Dreiwirbel und Bögen mit Kugelenden zieren häufig keltische Goldmünzen und fanden so eine weite Verbreitung im Symbolgut der keltischen Welt. Möglicherweise sollte die von zwei Kugeln abgeschlossene Bogenform den Horizont oder aber den Neumond darstellen. Nicht auszuschließen ist ferner, dass es einen stilisierten keltischen Halsreif wiedergibt, einen sogenannten torques, der als Macht- und Herrschaftssymbol keltischer Männer oder Gottheiten galt. Der Kreis mit Triskele oder Dreiwirbel mag für Geburt und Tod oder auch die Unendlichkeit stehen. All diese Interpretationen setzen das Schwert in Bezug zum Kosmos und wiederkehrenden astronomischen Phänomenen.
Bedeutung und Aussagekraft der Symbole auf dem Allacher Schwert stellen nach 2400 Jahren eine Herausforderung für die moderne Archäologie dar. Zumindest lassen sie erkennen, wie tief die Menschen der keltischen Eisenzeit mit astronomischen Phänomenen vertraut waren. Sie verraten uns damit Grundlegendes über das Verständnis der Welt und des Universums, über die Kosmologie einer oft rätselhaften Zeit, die auch an den Ufern der Isar ihre faszinierenden Spuren hinterlassen hat.