Eingeordnet unter Jugendstil

Die Fassade Am Harras 13

Eine Lindwurmfassade für Sendling

Am dicht bebauten, betonierten Verkehrsknoten Harras in Sendling treten die wenigen pastellfarbenen Jugendstilhäuser deutlich hervor. Protagonistin ist die Drachen-Fassade des mittleren Hauses. Vielleicht eine Hommage an August Endells Hofatelier Elvira und damit die Münchner Jugendstilarchitektur schlechthin?

Um 1900 war das Stadtbild Sendlings, gerade mal 1877 eingemeindet, noch sehr dörflich geprägt. Einziges Merkmal einer industriellen Umgebung war eine Malzfabrik, die in den 1930er Jahren dem Postgebäude wich. Dieser gegenüber befand sich die Gaststätte Löwenhof (Café Harras). Das Lokal an der Plinganserstraße war bis zum Abriss des Gebäudes 1903 ein beliebtes Ausflugsziel und namensgebend für den Platz. Im Zuge des Platzausbaus wurden an der Stelle des Wirtshauses Mietshäuser errichtet, die sich im damaligen modernen Baustil präsentieren. Im Erdgeschoss der 1905 errichteten Hausnummer 13 befand sich einst ebenfalls eine Gaststätte.

Dieser Bau ist mittig auf den Platz ausgerichtet und fällt vor allem aufgrund der Ornamentik ins Auge. Zwei Drachen (oder sind es Schwertfische?) kringeln sich um jeweils zwei Fenster. Ihre Mäuler sind geöffnet, ihre Zungen schlängeln heraus und ihre Körper verbinden sich in ein krauses Flächenornament, das noch einen schmalen strukturierten Schwanz mit einer Art Flosse erkennen lässt.

Vorbild für dieses Lindwurm-ähnliche Motiv war vermutlich das prominenteste Beispiel einer Münchner Jugendstilfassade: das von August Endell entworfene Foto-Atelier Elvira, das von den Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker in der Von-der-Tann Straße geführt wurde. Das circa 13 × 7 Meter große „Überornament“ Endells schlug 1898 – buchstäblich – Wellen: Es wurde als Seepferd, Drache oder Meereswelle gedeutet. Anstelle von architektonischen Struktur- und Funktionselementen, wie Säulen oder Türen, dominierte am Hofatelier Elvira das radikale Ornament an der farbenreichen Fassade. Für Endell stand die unmittelbare Wirkung einer Form im Vordergrund, die nicht in der Kopie der Natur, sondern in deren abstrakter Übersetzung sowie der Darstellung von Bewegung erreicht wurde.

Das Ornament wurde 1937 bereits durch die Nationalsozialisten abgetragen, da es in der Blickachse auf das Haus der Deutschen Kunst (heute: Haus der Kunst) als störend empfunden wurde. Der gesamte Bau wurde 1944 durch eine Bombe zerstört.

Doch die Drachen sind nicht das Einzige, was diese Fassade am Harras so aus dem Stadtbild hervorhebt. Putz in einem ockergelb rahmt die Fenster ellipsenartig oder verbindet die Geschosse. Jedes der 15 Fenster der oberen Stockwerke ist auf eine Weise in die unterschiedlichen Ornamente eingebunden, sodass die Fassade als Gesamtbild erscheint – alles nimmt aufeinander Bezug, fügt sich zusammen. Besonders die drei mittleren Fenster des ersten Geschosses werden nochmals als Einheit markiert, indem sie von einem Reliefbogen umspannt werden. Dieser verliert sich im Putz um die Fenster. Das Motiv des Drachenschweifs wird ebenfalls wieder aufgegriffen, wodurch die Mittelachse betont wird.

Neben der schwungvollen Silhouette der Lindwürmer verleiht auch die Neuinterpretation der zwei Pilaster als palmenartige Form der Hausoberfläche Dynamik. Diese dienen als visuelle Stützen der Lindwürmer, nehmen allerdings auch Bezug zu tradierter Architektursprache. Die klassische Säulenstruktur von Kapitell, Schaft und Basis wird hier mit dem Vokabular des Jugendstils verbunden. Ein korinthisches Kapitell mit Akanthusblättern und Voluten wird flächig zu Palmenblättern transformiert; das Wellenrelief in der ovalen Basis erinnert an Wurzeln.

Bekrönt wird der Bau mittig von einem Rundgiebel, der zweimal durch Putz und Stuckelemente zurückgestuft ist und figürlich durch einen Frauenkopf ausgezeichnet wird. Dieser scheint aus einem Ornament aufzutauchen, die langen Haare verbinden sich mit dessen Strahlen, ihr Blick ist auf den Harras gerichtet.

Bilder

Fassade Am Harras 13
Fassade Am Harras 13 An Palmen erinnernde Pilaster und drachenähnliche Figuren verliehen der Hauswand Dynamik. Erstellt von: Jasmin Gierling, 2024
Fassade des Hofatelier Elvira
Fassade des Hofatelier Elvira August Endells Fassade des Hofatelier Elvira mit von Josef Hartwig ausgeführten Stuckornamenten, Fotografie von 1897/98 Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Bildarchiv des Bruckmann-Verlags, ZI-BAB-26-Arch-157

Ort

Am Harras 13, 81373 München

Metadaten

Jasmin Gierling, “Die Fassade Am Harras 13,” MunichArtToGo, zuletzt zugegriffen am 21. November 2024, https://municharttogo.zikg.eu/items/show/171.