Die katholische Pfarrkirche St. Ursula in Schwabing ist mit ihrer Ausstattung ein seltenes Beispiel qualitätvoller Neo-Renaissance in Deutschland. Die Proportionslehre des Architekten August Thiersch bestimmt nicht nur Architektur und Altäre, sondern wird auch in den zeitgenössischen Kunstwerken fortgesetzt.
In einer Zeit, in der im Kirchenbau vor allem auf mittelalterliche Formensprachen zurückgegriffen wurde, wagte der Architekt August Thiersch (1843–1917) mit St. Ursula einen neuen Ansatz. Zwar bewegte sich der Entwurf weiterhin auf den strengen Pfaden eines stilreinen Historismus, statt gotisch oder romanisch baute man die Kirche jedoch im Stil der italienischen Renaissance des Quattrocento. Ein Grund für diese Entscheidung war wohl Thierschs Studium der Proportionslehre, welche zur Grundlage seiner Baukunst wurde. Ausgehend von den Arbeiten der großen Architekturtheoretiker des 15. und 16. Jahrhunderts, welche das Bauhandbuch des Vitruv (1. Jahrhundert v. Chr.) wiederentdeckt und mit ihm Maßverhältnisse neu definiert hatten und eigenen Naturstudien erarbeitete Thiersch eine Architekturlehre, die er dann in seinen Entwürfen umsetzte.
Die von der Formensprache der Florentiner Frührenaissance inspirierte klare Gliederung nach Thierschs Ideal ist im Kirchenbau von St. Ursula bis in die kleinsten Details der Kirchenausstattung wiedererkennbar. Dabei wurden längst nicht alle seiner Ideen und Entwürfe umgesetzt. Oft musste ein Kompromiss gefunden werden zwischen Thierschs Vorstellungen für einen harmonischen Kirchenraum, dem Geschmack des Pfarrers, den finanziellen Möglichkeiten der Kirchenstiftung und letztlich auch den Wünschen der Stifter, die oftmals als Geldgeber das letzte Wort behielten. Die ohnehin schon zurückhaltend geplante Innenausstattung wurde aus finanziellen Gründen letztendlich noch sparsamer ausgeführt; die geschaffenen Stücke zeichnen sich jedoch durch ihre qualitätvolle Gestaltung aus.
// Hochaltar
Für den Hochaltar wurde die ungewöhnliche Form eines Ziborium-Altares ausgewählt. Ein halbrunder Baldachin spannt sich, getragen von fünf Stützen, über den Altar und greift die Form der Apsiskalotte auf. Während die Pfeiler nur zurückhaltend mit Engelsreliefs und Festons geschmückt sind, zeigt die Kuppel ein reiches Goldornament. Das Mosaik wurde von Johann Odorici gefertigt. Das Ziborium, welches sich über den Hochaltar spannt, orientiert sich mit seiner mit blau-goldenem Mosaik verzierten Halbkuppel an Vorbildern aus Ravenna. Bekrönt wird die Halbkuppel von einem großen Kreuz. Flankiert wird der Altar von Skulpturen der Kirchenpatrone: der Heiligen Ursula und dem Heiligen Nikolaus.
Auf dem eigentlichen Altar befindet sich das Tabernakel, das wiederum von einem großzügigen Ziborium überfangen wird, welches als Aussetzungsnische dient. Auf den Türflügeln des Schreins ist eine Sequenz zum Fronleichnamsfest von Thomas von Aquin zu lesen.
// Marienkapelle
Der linke Seitenaltar ist der Muttergottes geweiht. Farblich bestimmt wird er durch die Majolikareliefs in Kobaltblau und Bleiweiß, welche sich eng an Arbeiten der Florentiner Brüder Della Robbia orientieren. Geschaffen wurden sie nach Modellen von Balthasar Schmitt (1858–1942), einem der vielbeschäftigtsten Künstler seiner Zeit.
Der Ädikula-Altar zeigt eine thronende Maria in einer perspektivischen Säulenhalle. In der Predella unter ihr illustrieren drei Majolikareliefs Szenen aus dem Leben Mariens: Die Verkündigung durch den Erzengel Gabriel, mittig die Himmelfahrt Mariae und die Geburt Christi in der Geburtshöhle. Im Zentrum des Altarretabels thront die Muttergottes mit dem Jesusknaben auf ihren Knien. Als Assistenzfiguren stehen ihr die Heiligen Dominikus und Franziskus zur Seite.
Die Szene des Retabels steht in Tradition italienischer Altäre der Frührenaissance, auf denen solche „Sacre conversazioni“ gerne dargestellt wurden.
// Josephskapelle
Der rechte Seitenaltar ist dem Ziehvater Jesu, dem Heiligen Joseph, geweiht. Der Künstler des Altarblatts ist der Historienmaler Ludwig Glötzle (1847–1929), der auch die Kreuzwegstationen in St. Ursula malte. In der Predella sind drei Szenen aus dem Leben des Heiligen dargestellt. Im Zentrum begleiten Engel den sterbenden Joseph; auf der rechten Seite ist die Flucht der Heiligen Familie aus Ägypten und links die Verkündigung zu sehen. Das Altarblatt zeigt ein monumentales Gemälde des Hl. Joseph, der den Jesusknaben trägt. Das Figurenpaar steht in einer Muschelnische in einer Landschaft. Zur Linken des Jesuskindes, das die Arme weit ausbreitet, kniet Ecclesia, die Allegorie der Kirche, in liturgischem Gewand. Sie verweist auf die Bedeutung Josephs für die Heilsgeschichte, während die Figuren der linken Bildseite auf die Funktion Josephs als Schutzherr der Jugendlichen und Handwerker verweisen. Dort sind als Stellvertreter der Pfarrei St. Ursula ein Knabe, der von seiner Mutter zur Andacht gewiesen wird, und ein Handwerker mit einem Korb voll Werkzeug dargestellt.
// Mit weitem Herzen
Obgleich St. Ursula vor allem mit der Konsequenz der ursprünglichen Ausstattung besticht, wurden über die Jahrzehnte immer wieder zeitgenössische Kunstwerke in den Kirchenraum hinzugefügt. Zuletzt kam 2021 das Gemälde „Mit weitem Herzen“ von Raoul Rudolf Maria Rossmy in die Kirche. Der Proportionslehre Thierschs folgend ergänzt es ein Pfingstbild aus der Entstehungszeit von St. Ursula und füllt eine Leerstelle an der Westseite des Mittelschiffes. Dargestellt ist der Heilige Benedikt, als Garant für Anstand und Vernunft. Zu seinen Füßen sitzt eine junge Frau mit aufgeschlagenem Buch. In Anlehnung an die antike Sage vom Raub Europas durch den Göttervater Zeus, verweist sie hier auf Benedikts Funktion als Patron des Kontinents Europa. Durch ihre Bildung emanzipiert sich die junge Europa von der Gewalt und mahnt so zu einem verantwortungsvollen und friedvollem Miteinander.