Der Marstallplatz
Ein Lustgarten und ein „Haus auf Säulen“ am Rande der Stadt
Eine Oase, in der ein Fest für den deutschen Kaiser gegeben wurde, sowie ein Pavillon, der die einen in Erstaunen versetzte und andere an ihre wichtigsten Tugenden erinnern sollte. Ein Ort, der eindrücklich den Wandel und das Wachstum Münchens vor Augen führt.
Der Marstallplatz befindet sich heute mitten in der Münchner Altstadt. Es ist kaum vorstellbar, dass dort, wo sich jetzt ein gepflasterter Platz erstreckt, vor fast 500 Jahren ein grüner Garten existierte. Herzog Wilhelm IV. (1493–1550, reg. 1508–1550) hatte ab 1526 einen Lustgarten mit Häuschen, Brunnen, einem Irrgarten und Fischteichen in nächster Nähe zur Neuveste, der heutigen Residenz, anlegen lassen. Der Garten war vom Sitz der Herzöge aus nur über eine Zugbrücke erreichbar, die sich über den Stadtgraben spannte. Im Norden, wo sich heute die Bayerische Staatskanzlei befindet und im Osten, wo das Hotel Vier Jahreszeiten liegt, erstreckten sich zu dieser Zeit noch Felder und Äcker.
Es gibt nur wenige Quellen, die verraten, wie dieser Garten ausgesehen haben musste. Die ausführlichsten Beschreibungen sind in Briefen von italienischen Gesandten zu finden, die im Jahr 1530 Kaiser Karl V. (1500–1558) bei seinem Besuch in München begleiteten und an einem Festbankett zu Ehren des Gastes im Lustgarten teilnahmen. Außerdem existiert ein Plan der Stadt aus dem Jahr 1613 von Tobias Volckmer, auf dem die Gartenanlage verzeichnet ist.
Bei den 1994 durchgeführten archäologischen Grabungen am Marstallplatz stieß man westlich des heutigen Max-Planck-Institutes auf Fundamentreste eines Gebäudes. Genaueren Aufschluss über die Entdeckung lieferten die Briefe der italienischen Gesandten, in denen ein „Haus auf Säulen“ genannt wurde, das in seinem Grundriss mit den aufgedeckten Fundamenten übereinstimmte. Der Gesandte Caesare Gracio beschrieb es als Gebäude, „in dessen Mitte sich ein wunderbarer Brunnen befindet. Er ruht auf vier schenkeldicken eisernen Bögen, durch welche das Wasser emporsteigt und in ein Becken fließt“ (zit. nach Harting 1933, S. 154). Gracio erwähnt zahlreiche Figuren, die so positioniert waren,
„daß sich nach den vier Seiten zwanzig Wasserstrahlen wenden: sie füllen vier quadratförmige Teiche, worin riesige Forellen und viele andere Fische schwimmen. Oberhalb dieses Brunnens sind noch einige Gemächer mit prachtvollen Gemälden, die Jagden, Schlachten, Tänze und Landschaften darstellen. (…) Etwa in der Mitte befindet sich ein Kunstbrunnen […]. Oberhalb jenes Brunnens befindet sich ein Zimmer, das drei Gemälde, Römerkriege darstellend, enthält, welche Malereien von höchstem Wert sind. Es hat einen Ofen mit Darstellungen, die wie lebend erscheinen.“ (zit. nach Harting 1933, S. 152).
Die Gemälde hatten Herzog Wilhelm IV. und seine Frau Jakobäa von Baden (1507–1580) bei einigen der damals bekanntesten Malern Süddeutschlands anfertigen lassen, wie beispielsweise Albrecht Altdorfer (um 1480–1538), dessen Kunstwerk „Alexanderschlacht“ heute in der Alten Pinakothek bewundert werden kann. Das Erdgeschoss des zweigeschossigen Pavillons war offen, von Säulen gesäumt und wahrscheinlich mit Gewölbemalerei verziert.
Die Überreste des Kachelofens aus dem Obergeschoss konnten in den letzten Stunden der Grabung aus dem ehemaligen Brunnen geborgen werden. Beim Abbruch des Pavillons hatte man sie zu dessen Verfüllung genutzt.
Die sichtbare Vorderseite der halbrunden Nischenkacheln ist viereckig, hohl und durch bühnenartige Szenen mit beinahe freistehenden Figuren abgedeckt. Bisher ist die Qualität dieser Kacheln einzigartig und es sind keinerlei Vergleichsstücke bekannt. Von den historischen Berichten weiß man, dass auf den Kacheln unter anderem das Urteil des Salomon, David und Goliath, Landschaften und tanzende Menschen zu sehen waren. Man vermutet, dass die abgebildeten Szenen als Fürstenspiegel fungierten. Ein solcher sollte die Herrschenden, durch Sprüche oder Bilder, an wichtige Tugenden erinnern und mahnend auf sie einwirken.
Herzog Maximilian I. (1573–1651) ließ den Lustgarten 1616 zu Gunsten einer Zeughausanlage, einem großen Waffen- und Munitionslager, beseitigen. Ab 1807 musste die Anlage wiederum dem Marstall weichen, welchen Leo von Klenze (1784–1864) um 1820 zur Hofreitschule umgestaltete.