Die Volksschule am Elisabethplatz von Theodor Fischer
Bildungsbau zwischen Märchenfassade und Stadtstruktur
Diese Schule prägt nicht nur seit dem Ausbau der Stadtstruktur um 1900 den Elisabethplatz, sondern spiegelt auch reformerische Strömungen in München um die Jahrhundertwende. Anstelle eines Sakral- oder Verwaltungsbaus, wie es an einem solchen Platz urbanistische Tradition gewesen wäre, errichtete Theodor Fischer einen Bildungsbau. Eine weitere Neuheit: In der Putz-Fassade lassen sich statt historistischer Formen Szenen aus Märchen entdecken.
Schwabing wurde erst 1890 eingemeindet. Rund zehn Jahre später plante Theodor Fischer neue Verkehrsachsen für den Stadtteil sowie ein Stadtteilzentrum, den Elisabethplatz. Der Architekt und Städtebauer entwickelte für Münchens urbanistischen Ausbau den sogenannten Staffelbauplan, um das Bevölkerungswachstum zu organisieren. Entsprechend der in Camillo Sittes Bestseller „Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen“ formulierten modernen städtebaulichen Prinzipien schuf Fischer eine asymmetrische Platzanlage in Schwabing. Die Entscheidung, dass eine Schule diesen Platz dominieren sollte, visualisiert die zunehmende Anerkennung von praxisorientierter schulischer Ausbildung. Zusätzlich wurde 1903/04 am Elisabethplatz Cajetan Pachers Gisela-Kreisrealschule ergänzt, hinzu kamen eine Markthalle, ein Postamt sowie Café und in den 1920er Jahren ein Kino.
Typisch für Theodor Fischer ist, dass er seine Bauten vom Städtebau ausgehend entwickelt. Bei der Schule am Elisabethplatz wird das besonders deutlich, da die Kreuzung der neuen unbebauten Freifläche als Vorplatz der Schule mit dem Straßenverlauf der Elisabethstraße betont wird: Die Ecke des L-förmigen Baukörpers ist niedriger als die Flügel.
Doch auch der gezielte Einsatz von modernen Elementen an der Fassade, ohne traditionelle Bauformen aus dem Blick zu verlieren, entspringt unverkennbar Fischers Hand. So erinnert der Uhrenturm zwar an eine Kirche und auch die zum Platz weisenden Giebel sind bekannte Bauelemente aus mittelalterlichen Städten. Doch repräsentieren diese hier durch den wellenartigen Wechsel von konkavem und konvexem Schwung typische Jugendstil-Formen. Über den Fenstern wird die Kontur wiederaufgegriffen. Den Bau gliedern also eher schlichte, rein architektonische Elemente, wie Risalite, statt funktionsloser Verschnörkelung.
Ausnahmen stellen die Flächen zwischen den Fenstern dar. In dezenten Farbtönen bespielen geschwungene Linien den hellen Putz und wechseln sich mit narrativen Darstellungen ab: Prägnante Motive stellen Schlüsselszenen aus jeweils einem Märchen dar. An der Fassade lassen sich etwa „Der Froschkönig“, „Tischlein deck dich“ oder „Frau Holle“ identifizieren – letzteres erkennbar an der das Laken ausschüttelnden Goldmarie. Was zunächst kitschig erscheinen mag, eignet sich doch hervorragend als Schmuck eines Jugendstil-Schulbaus. Märchen sind allseits bekannt, sodass die Szenen schnell identifiziert werden können. Anders würde es sich mit historistischen Architekturelementen verhalten, deren Intention sich fast ausschließlich einem Fachpublikum erschließen. Zudem beinhalten Märchen eine lehrreiche oder erzieherische Aussage, die sich mit der Funktion einer Schule deckt.
Die Trennung in einen Jungen- und Mädchentrakt ergibt einen L-förmigen Grundriss mit jeweils eigenen Eingängen und Treppenaufgängen. Ein Korridor, von dem jeweils die Unterrichtsräume, aber auch Werkstätten oder die Schulküche erschlossen werden, verbindet die beiden Flügel. Früher wurden hier das Handwerk beispielsweise von Kupfer- und Kesselschmieden oder auch Schuh- und Hutmacher:innen erlernt; heute hat sich der Schwerpunkt der Berufsschule auf Fahrzeug- und Luftfahrttechnik verlagert.
In der zum Elisabethplatz ausgerichteten Ecke befindet sich die Turnhalle, die von beiden Trakten aus betreten werden kann. Theodor Fischer greift mit diesem flacheren Baukörper in der Gebäudeecke auf die 1897–99 von Carl Hocheder am Bavariaring realisierte Schule zurück. Hocheder – heute vor allem bekannt durch das Müller’sche Volksbad in Haidhausen – hatte entsprechend einer Reform des Pädagogen Georg Kerschensteiner aus den 1890er Jahren einen neuen Bautypus für das Vorgängermodell einer modernen Berufsschule entwickelt. Dieses beinhaltete am gleichen Ort eine Turnhalle, Werkstätten und einen Garten, um dem praxisorientierten Unterricht Raum zu geben. Im Grund- und Aufriss gleichen sich Fischers und Hocheders Gebäude enorm. Doch statt der historistischen Formensprache Hocheders, entscheidet sich Fischer für eine modernere Fassadengestaltung mit Märchenerzählungen.